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    23. August 2007

    Störung des Schulfriedens

    Vom "intellektuellen Tiefflug über eine konzeptionelle Ödnis" sprach Herr Stahl gestern an dieser Stelle. Genau das ist der Antrag der Koalitionsfraktionen zu dieser aktuellen Stunde. Da beantragen sie allen Ernstes eine aktuelle Stunde gegen die Abschaffung der Gymnasien, weil der Schulfriede in NRW gestört werde. Interessant ist daran auch die Formulierung: Nicht die von Ihnen angeblich so geliebten Hauptschulen werden erwähnt, nein, das Flaggschiff der Bildungspolitik, das Gymnasium scheint gefährdet. Da kann man sehen, wo Ihr Herz wirklich schlägt.

    Den Schulfrieden stört nicht die SPD mit ihrem auf dem Parteitag am Wochenende noch zu diskutierenden Antrag für die beste Bildung für NRW und dem damit verbunden längeren gemeinsamen Lernen. Den Schulfrieden an jeder einzelnen Schule stören Sie täglich durch strukturelle Vorgaben: Denn Selektion erzeugt massive Konflikte, ruiniert das Ansehen von Lehrern und Lehrerinnen, diskriminiert und schneidet Kinder und Jugendliche von Bildungschancen ab.

    Meine Damen und Herren, Ihre Schulpolitik ist in vielen Punkten wahrlich rückwärtsgewandt, nicht die Diskussion der SPD. Es hat sie nicht beeindruckt, dass bei PISA die Länder am besten abgeschnitten haben, die konsequent auf gemeinsames Lernen setzen. Ihr Vorurteil gilt weiter: In Deutschland ist erfolgreiches Lernen nur dann möglich, wenn Kinder »begabungsgerecht« in homogenen Gruppen sortiert sind. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse prallen an dem unerschütterlichen Glauben der Regierungsfraktionen an ein begabungsgerechtes Schulsystem ab.

    Das Schulgesetz in NRW ist ein Ausfluss gandenloser Ignoranz. Hier werden Kinder in Begabungsprofile gepresst. Profile, die es tatsächlich nicht gibt. Denn die Potentiale von Kindern sind deutlich vielfältiger als es Begabungsprofile von drei Schulformen sein können.

    Mit diesem Antrag haben CDU und FDP nicht die Interessen der Kinder und Eltern im Blick. Es geht um die Schulform „Gymnasium“, nicht um das Wohl seiner Schüler.

    Ich wundere mich, dass sie nicht gleich auch noch das Gespenst der „sozialistischen Einheitsschule“ in ihrer Begründung beschworen haben. Richtig ist aber, dass wir eine "Bürgerliche Gemeinschaftsschule" benötigen, um in einer globalisierten Welt die Bildungspotentiale der gesamten Bevölkerung zu nutzen. Ich wiederhole noch einmal: eine bürgerliche Gemeinschaftsschule.

    Die gemeinsame Schule gib es längst: die Grundschule. Die gleichen Geister, die heute das Gymnasium verteidigen, haben vor 80 Jahren die Einführung der Volksschule bekämpft. Heute sind sowohl Eltern als auch Kinder mit der Grundschule signifikant zufriedener als mit der weiterführenden Schule. Was also spricht dagegen, die Grundschulzeit zu verlängern? Schritt für Schritt. In zehn Jahren wäre Deutschland dann dort, wo die PISA-Sieger heute schon sind.

    Prof. Wößmann vom Ifo-Institut sagt: "Die frühe Selektion, also die Aufteilung der Kinder nach der Grundschule auf drei Schultypen, HS, RS, GY, ist einer der wichtigsten Gründe für die hohe soziale Selektivität des deutschen Schulsystems". Die Chancen-Ungleichheit in Deutschland nimmt derzeit zu und nicht ab.

    Der UN-Menschenrechtsbeobachter Munoz macht darauf aufmerksam, dass kaum ein Bildungssystem so selektiv, diskriminierend, unsozial und ungerecht ist wie das deutsche. Er nennt die Schulen im gegliederten Schulsystem Armutsfallen. Die gemeinsame Schulzeit sei viel zu kurz, um herkunftsbedingte Nachteile auszugleichen.

    Auf solche Äußerungen regieren sie, meine Damen und Herren von den Regierungsbänken, gemeinsam mit der Ministerin beleidigt. Das Schulsystem ist nicht veränderbar, bitte keine Strukturdebatte, die stört den Schulfrieden. Tatsächlich schneidet ihre Ignoranz täglich junge Menschen von Bildungsmöglichkeiten ab. Die Mischung macht’s: Auch wenn sie es nicht glauben wollen.

    Nur weil sich die Regierungsfraktionen ein ideologisches Denkverbot auferlegt haben, soll auch die Opposition keine Folgerungen aus wissenschaftlichen Erkenntnissen ziehen! Ist es das, was sie, meine Damen und Herren, mit ihrem Antrag bewirken wollen? Oder ist es nicht eher der Versuch, den Schulkrieg in NRW auszurufen?

    Notwendige Reformen im Bildungsbereich benötigen breite Mehrheiten. Der Ministerpräsident hat gestern sinngemäß gesagt: "Neue Wege zu gehen ist notwendig, wenn man das Land voran bringen will". Das ist richtig. Ich rufe Ihnen zu: Neue Wege in der Bildungspolitik sind überfällig für die Zukunft dieses Landes.

    Die Enquete-Kommission „Chancen für Kinder“ wäre in der Lage, neue Wege zu denken. Ob es uns gelingt, liegt an Ihnen.

    Die Basis der CDU im Land weiß längst um die notwendigen Veränderungen. Die mühsam aufgebauten Dämme werden nicht mehr lange halten. Bei den feststellbaren bildungspolitischen Klimaveränderungen sollten sie sich beeilen, ihre zementieren Positionen aufzugeben. Ansonsten werden sie demnächst durch einen Tsunami wegschwemmt. Wir brauchen ein neues Bildungssystem zum Wohle der Kinder. Dem Wohle der Kinder fühlt sich die Ministerin ja besonders verpflichtet. Ich würde mir wünschen, dass das für das ganze Parlament gilt.