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    24. August 2007

    Mehr Leseförderung an den Schulen in Nordrhein-Westfalen erforderlich!

    LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN
    14. Wahlperiode
    Drucksache 14/5154
    05.10.2007

    Antwort
    der Landesregierung
    auf die Kleine Anfrage 1833
    der Abgeordneten Renate Hendricks SPD
    Drucksache 14/4925

    Mehr Leseförderung an den Schulen in Nordrhein-Westfalen erforderlich!

    Wortlaut der Kleinen Anfrage 1833 vom 22. August 2007:

    Die OECD Lesestudie von 1992 hat es aufgezeigt und die Pisa-Studie hat es der Öffentlichkeit verdeutlicht: Die Lesekompetenz der Deutschen Schüler und Schülerinnen ist bei weitem nicht ausreichend. Bei der Lesefähigkeit unterscheiden die Pisa-Forscher der OECD fünf Kompetenzstufen. Die untersten Kompetenzstufen I und II erlauben allenfalls das Lesen einzelner Texte und eine Zusammenfassung des Gelesenen auf niedrigem Niveau. Die höchsten Kompetenzstufen IV und V setzen das Verständnis komplizierter Texte voraus und verlangen von den Lesern logische Schlussfolgerungen und selbstständige Analysen. Wer die Kompetenzstufen IV und V erreicht, hat gute Chancen, über ein Studium den Anforderungen der Wissensgesellschaft gerecht zu werden. Wer auf den Kompetenzstufen I und II verbleibt, gehört zu jener Risikogruppe, deren Berufserfolg mehr als fraglich ist. In Deutschland gehören zu dieser Risikogruppe 20 Prozent der 15-Jährigen.

    Die Auswertung der Lernstanderhebungen 2007 in NRW haben erneut sehr deutlich gemacht, dass es in allen Schulformen Jungen und Mädchen gibt, die über die Kompetenzstufe 1 und 2 nicht hinauskommen.
    Die Ergebnisse aus PISA werden somit erneut bestätigt. In den Schulen gibt es einen relevanten Anteil von Jugendlichen, mit einem deutlichen Förderbedarf.

    Das Ziel muss sein, die Lesefähigkeit der jungen Generation zu verbessern. Doch wie nachhaltig gelingt dies im Jahre X nach der Lesestudie der OECD und nach PISA? Leseprogramme, Zeitungsprojekte, Leseomas und Leseopas, Lesepaten, Lesewettbewerbe sind seither an der Tagesordnung in deutschen Bildungseinrichtungen. Aber die Frage stellt sich, ob diese Maßnahmen ausreichend sind, um die Lesefähigkeit der jungen Menschen auf ein international vergleichbares Leistungsniveau zu bringen?

    Gleichzeitig ist unsere Gesellschaft noch nie so stark auf die Fähigkeit der Menschen angewiesen gewesen, gelesene Information zu verarbeiten. Laut einer Studie der Marktforschung IDC wächst die digitale Informationsmenge jährlich um knapp 60 Prozent – doppelt so schnell wie noch vor einigen Jahren. Viele Manager nehmen heute Lesekurse, um ihr Lesetempo und ihre Aufnahmefähigkeit zu verbessern.
    Dass der Mensch lernen kann, schneller und besser zu lesen, ist inzwischen wissenschaftlich belegt. Untersuchungen von Psychologen und Gehirnforschern machen deutlich, welche Trainingsmethoden wirklich helfen und was man zur Lesebeschleunigung tun kann. Einige Nachhilfeinstitute bieten mittlerweile ihren Schüler und Schülerinnen Lesetraining als Grundlage besseren Lernens und Verstehens an. Dies ist für ihre Schüler und Schülerinnen durchaus hilfreich, weil es in vielen Schulen nicht trainiert wird.

    Lesen ist eine neuronale Spitzenleistung, die in drei Schritten vollzogen wird: Verkürzt dargestellt:
    Das Auge erfasst ein Wort oder einen Satzteil. Die Striche, Bögen und Winkel werden vom Gehirn in ein vorbewusstes Schriftbild gebracht. Dieses Schriftbild wird in der linken Gehirnhälfte in der Nähe der für Sprachverarbeitung zuständigen Areale auf Widererkennung geprüft. Dann wird alles, was der Leser über ein Wort weiß, ins Bewusstsein gerufen: Gefühle, Erfahrungen und Vorurteile. Verschiedene Hirnregionen arbeiten dabei zusammen.
    Die Emotionen spielen wie immer beim Lernen eine wichtige Rolle. Je mehr das gelesene Buch bewegt oder interessiert, umso intensiver verläuft dies in den unterschiedlichen Regionen im Gehirn, umso besser und schneller kann ein Text dauerhaft behalten.

    Ein Modellversuch mit Berliner Gymnasiasten veranlasst Sprachwissenschaftler dazu, die Einführung von Lesekurse an Schulen zu fordern, Leseanlässe zu schaffen und Lesen zu trainieren. An kanadischen Schulen sind mir solche Programme seit einigen Jahren bekannt. In Finnland wurden große Lücken zwischen den Leistungen von Jungen und Mädchen festgestellt. Um diese Lücken zu schließen, wurden z.B. Jungen über ihre Freude am Umgang mit dem Computern und dem Internet zum Lesen geführt. In jedem Fall wurde dem Lesen besondere Aufmerksamkeit gewidmet.

    Ich frage daher die Landesregierung:

    1. Welche Programme finden an den nordrhein-westfälischen Schulen beim Lesenlernen und -trainieren derzeit Anwendung?

    2. Wie findet gezielte Leseförderung für Jugendliche mit diagnostiziertem Förderbedarf an den Schulen in NRW statt?

    3. Gibt es in den Schulen ausreichend Zeit bzw. ein ausreichendes Bewusstsein, um Lesepraxis zu ermöglichen und zu trainieren?

    4. Wie wird Lesen nach der Grundschule auch in den weiterführenden Schulen regelmäßig trainiert?

    5. Wodurch wird die Lesefähigkeit der Schüler und Schülerinnen in NRW signifikant und nachhaltig verbessert?

    Antwort der Ministerin für Schule und Weiterbildung vom 2. Oktober 2007 namens der Landesregierung:

    Zu den Fragen 1 bis 3

    Sowohl im Lehrplan der Grundschule als auch den Kernlehrplänen der weiterführenden Schulen ist der kumulative Aufbau der Lesetechniken und Lesestrategien ein Aufgabenschwerpunkt für alle Jahrgangsstufen.

    Es liegt in der Eigenverantwortlichkeit der Schule und der Unterrichtenden, gemäß der curricularen Vorgaben den Unterricht zu gestalten und infolgedessen auch zu entscheiden, wie sie die Lesekompetenz der ihnen anvertrauten Schülerinnen und Schüler entwickeln. Dabei ist das Bewusstsein über die Notwendigkeit der Leseförderung in den Schulen gerade nach den Ergebnissen der Schulleistungsstudien stark ausgeprägt. Zur Professionalität von Lehrerinnen und Lehrer zählt es, Stärken und Schwächen der Schülerinnen und Schüler kontinuierlich zu ermitteln und ggf. individuell diagnostizierte Defizite in ihrem Unterricht auszugleichen. Dies geschieht einerseits durch Maßnahmen zur Steigerung der Lesemotivation, die auch über den Unterricht hinausgehen (z. B. Lesenächte, schulübergreifende Lesewettbewerbe).
    Zum anderen werden Methoden und Arbeitstechniken geübt, die die Lesefähigkeit der Schülerinnen und Schüler signifikant und nachhaltig verbessern. Der Einsatz von Computern ist dabei auch in Nordrhein-Westfalen eine Selbstverständlichkeit und nur ein Weg, um zum Beispiel die Lesebereitschaft von Jungen zu steigern.

    Der Landesregierung ist die individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler ein besonderes Anliegen. Insofern können die zusätzlichen Stundenkontingente in der Sekundarstufe I auch für gezielte Leseförderung eingesetzt werden. Zur Unterstützung der vielfältigen schuleigenen Wege der Leseförderung des einzelnen Kindes bzw. Jugendlichen bietet die Landesregierung entsprechende Hilfen an. An dieser Stelle seien einige Beispiele genannt:
    - Auf der Homepage des Ministeriums ist eine Datenbank zum Thema individuelle Förderung installiert, über die sich Schulen über praktische Beispiele informieren können. Außerdem finden Lehrerinnen und Lehrer hier eine umfangreiche Liste von Literatur zur Förderung der Lesekompetenz.
    - In 2006 hat das MSW zusammen mit dem Zeitungsverlegerverband NRW ein Projekt zur Erweiterung der Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern an Hauptschulen durchgeführt. Um die Leselust und Lesekompetenz der Jugendlichen zu verbessern, erhielten die teilnehmenden Klassen vier Monate die örtliche Tageszeitung (sowie begleitende Unterrichtsmaterialien) zur täglichen Lektüre im Unterricht.
    - Die Initiative „Bildungspartner NRW Bibliothek und Schule“ führt am 7. November 2007 den Kongress „Lesen.Lernen“ durch. Im Rahmen des Tagungsprogramms finden zahlreiche Seminare statt, die das Ziel haben, Schulen bei der Vermittlung von Lese- und Lernkompetenzen zu unterstützen.
    - Im Rahmen der Leseinitiative NRW unterstützt das Ministerium Wettbewerbe, die die Leseförderung in unserem Land voranbringen. Dazu gehört z. B. der zurzeit stattfindende Wettbewerb „Das fliegende Klassenbuch“, der das Ziel hat, Grundschulkindern spielerisch Lesekompetenz und Freude am Umgang mit Texten zu vermitteln.

    Zu den Fragen 4 und 5

    Aufbauend auf der in der Grundschule erworbenen Lesefähigkeit ist für den Deutschunterricht der Jahrgänge 5 bis 10 eine stetige und regelmäßige Erweiterung und Vertiefung der Lesekompetenz vorgesehen, so dass die Schülerinnen und Schüler befähigt werden, Lesestrategien zur Erschließung zunehmend komplexer Texte selbstständig anzuwenden.

    Die Landesregierung hat mit den Lernstandserhebungen in den Jahrgängen 3 und 8 ein Instrumentarium zur regelmäßigen und methodisch abgesicherten Überprüfung der Kompetenzerwartungen – insbesondere des Lernbereichs Lesen – geschaffen. Die Unterrichtenden können die Ergebnisse der Schülerinnen und Schüler vergleichen und für den Einzelnen den konkreten Förderbedarf ermitteln.
    Die Förderung der Lesekompetenz umfasst weit mehr als die regelmäßige Lektüre von spannenden oder interessanten Texten. Sie beinhaltet zunächst die Diagnose der individuellen Schwächen und darauf aufbauend eine gezielte und regelmäßige Förderung des einzelnen Kindes oder Jugendlichen durch die Vermittlung bestimmter Techniken des sinnerfassenden bzw. sinnkonstituierenden Lesens.