Suchen

 
     

    15. Mai 2008

    Jedes Kind zählt - Kinder und Familien in Nordrhein-Westfalen von Beginn an wirksam unterstützen.

    Entwurf zu der Rede von Renate Hendricks MdL im Plenum am 15.5.2008 zum Antrag der CDU und FDP - Jedes Kind zählt - Kinder und Familien in Nordrhein-Westfalen von Beginn an wirksam unterstützen.

    Anrede,

    beim Lesen dieses Antrags der Regierungsfraktionen habe ich mir die Augen gerieben. Die Themen kommen mir, wie Kollegin Ingrid Hack schon erwähnt hat, aus unserer Enquete-Kommission „Chancen für Kinder“ äußerst bekannt vor.

    Die Ergebnisse dieser Kommission sind kurz vor der Fertigstellung, also was soll der Öffentlichkeit mit diesem Schauantrag jetzt gesagt werden? Die Substanz und die Aussagekraft sind mir weder aus dem Antrag noch aus der bisherigen Plenardebatte deutlich geworden.

    Deutlich wird freilich, dass hier auf eineinhalb Seiten eine Selbstbeweihräucherung der bisherigen Regierungsarbeit erfolgt, wie wir es von Ihnen inzwischen gewohnt sind. Tatsächlich ist im Regierungshandeln allerdings auch bei einem Regierungswechsel eine gewisse Kontinuität feststellbar, und das ist auch gut so.
    Viele Dinge, für die Sie die Urheberschaft reklamieren, gab es schon vorher, waren bereits angelegt und werden fortgeführt oder weiter entwickelt. Wenn Sie die Menschen in NRW glauben machen wollen, ein Urknall hätte einen umfassenden Neubeginn bewirkt, stimmt dies so nicht.

    Ein Beispiel: Die Initiativen zur Erprobung von Frühwarnsystemen wurden bereits vor 2005 auf den Weg gebracht und nun von Herrn Laschet weiterentwickelt. Über diese Kontinuität freuen wir uns und begrüßen entsprechende Initiativen. Doch an den Taten hapert es: Die finanzielle Unterstützung dieser Frühwarnsysteme fällt mit 10.000 Euro mehr als mager aus.
    Die finanzielle Hauptlast hierfür liegt bei den Kommunen, über deren unterschiedliche Leistungsfähigkeit wir an dieser Stelle schon des häufigeren heftig diskutiert haben.

    Mit wohlgesetzten Worten gibt der Antrag vor, dem Wohle der Kinder in NRW zu dienen. „Jedes Kind zählt, kein Kind darf verloren gehen.“ Die SPD-Fraktion freut sich sehr, dass diese Erkenntnis nun auch bei den Regierungsfraktionen angekommen ist. Wir sind mit Ihnen der Meinung, dass alle Familien und Kinder, die Hilfe und Unterstützung benötigen, diese auch bekommen müssen, damit alle Kinder in NRW gute Aufwachsensbedingungen erhalten.

    Doch bei der Umsetzung kommt Ihnen Ihr leitender Wettbewerbsgedanke - verbunden mit dem Bestreben, Aufgaben und Verantwortlichkeiten abzuschieben - in die Quere. Dieses Prinzip führt dazu, dass eben nicht jedes Kind gleich viel zählt in NRW.

    Die Umsetzung des Wettbewerbs im öffentlichen oder halböffentlichen Sektor ist oftmals nicht zielführend.

    Ein anderes massives Hindernis ist Ihre ideologisch eng geführte Schulpolitik, die durchaus die Frage nahe legt, ob eine gleiche „Teilhabe an den Chancen der Bildungsförderung“ wirklich gewollt wird, wie es im Antrag so bezeichnend gewunden formuliert ist.
    Wir wollen nicht von Teilhabe und Chancen reden, wir wollen, dass jedes Kind entsprechend seinen individuellen Begabungen optimal gefördert wird.

    Selektion und insbesondere soziale Selektion im Bildungssystem erzeugt Bildungsarmut.
    Wer die Zukunft der Kinder und damit die Zukunft dieses Landes sichern will, muss Bildungsarmut in der Kindheit und Jugend vermeiden. Er muss allen Kindern einen barrierefreien Zutritt zu allen Bildungsmöglichkeiten eröffnen.

    Wir stimmen ihnen zu, dass der individuellen Bildungsförderung eine besondere Bedeutung zukommt. Individuelle Förderung war und ist Auftrag der Kitas auch bereits vor dem KiBiz.
    Seit 2003 ist sie in den Bildungsvereinbarungen ausdrücklich verankert und fand sich auch in den Curricula der Schulen.
    Wie kompliziert dieser Auftrag zu realisieren ist, zeigt die landesweite Realität. Der Antrag biete dazu keine Hilfe.

    Bildungseinrichtungen benötigen nämlich mehr als gute Worte und formulierte Erwartungen. Sie brauchen Bildungszeit, Ressourcen, qualifiziertes Personal, Unterstützungssysteme und Entwicklungszeit.

    Ganztag - KiBiz - Übergangsgutachten

    „Kein Kind verlieren“ bedeutet auch, Angebote für Kinder mit besonderen Bedürfnissen zu schaffen: In der Frühpädagogik sind solche Angebote noch stark unterentwickelt. Ein differenziertes, die besonderen Bedürfnisse dieser Kinder aufnehmendes Angebot ist dringend erforderlich. In den Kindertageseinrichtungen ist eine nicht unbeträchtliche Zahl an Kindern anzutreffen, die Entwicklungsauffälligkeiten oder -risiken zeigen. Dies betrifft nicht nur die Sprachentwicklung.

    Ein Risikofaktor mit nachhaltigen und sehr komplexen Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung stellt Armut dar. In den Schulen haben Sie es bisher nicht geschafft, den Kindern von ALG II Empfängern die Lernmittelfreiheit oder ein warmes Mittagessen zu gewähren. Ihre CDU Kollegen in Berlin sperren sich gegenüber entsprechenden Anträgen, obwohl der Bundesfinanzminister durchaus Verständnis signalisiert hat.

    Ein ausreichender Nachteilsausgleich bei Kindern mit Legasthenie und Dyskalkulie ist nicht sichergestellt. Jedes Kind zählt, auch die mit besonderem Förderbedarf. Die Quote der Kinder, die in NRW auf die Förderschulen gehen, ist deutlich zu hoch.

    Die Erkenntnis, dass informelle Bildung, vor allem durch die Familie organisierte Bildungsangebote, den Großteil der Varianz kindlicher Entwicklung erklären, macht Interventionsansätze erforderlich. Eine kanadische Studie hat gezeigt, dass Defizite der kindlichen Entwicklung in Risikofamilien durch Stärkung von Kompetenzen der Eltern behoben werden können.

    Kinder aus Risikofamilien, deren Eltern auf geeignete Weise unterstützt wurden, erreichten mittelfristig vergleichbare Entwicklungsstände wie Kinder aus Nichtrisiko-Familien.
    Für solche Ergebnisse sind weitergehende Initiativen erforderlich als der Ausbau von Familienzentren im bisherigen Umfang oder Familienpaten.

    Individuelle Förderung erfordert eine Neuregelung des Verhältnisses von Früh- und Schulpädagogik sowie die Entwicklung einer konsistenten Bildungskonzeption für Kinder von 0 bis 18, die es jedem Kind ermöglicht, ohne biografische Brüche seine Potentiale zu entfalten. Auch hierzu lässt sich in dem Antrag nichts Substantielles feststellen.

    Also warten wir doch lieber die Ergebnisse der Enquete-Kommission „Chancen für Kinder“ ab. Ich hoffe, wir können daraus konkretere Erkenntnisse ableiten.

    Dieser Antrag ist nichts als heiße Luft. Damit kann man zwar an einem Ballon durch die Lüfte schweben, aber dieses Land und seine Kinder kann man damit nicht voran bringen. Deshalb wird es Sie nicht verwundern, dass wir dem Antrag nicht zustimmen.