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    28. August 2008

    Unqualifizierte Angriffe der Schulministerin auf die Gesamtschulen abwehren

    Rede zur Aktuellen Stunde der der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP

    Hohe qualitative Standards beim Zentralabitur führen zu bestem Ergebnis seit 1992 – Die neue Abiturprüfung hat sich bewährt

    in Verbindung mit dem Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

    Unqualifizierte Angriffe der Schulministerin auf die Gesamtschulen abwehren – Landtag muss sich an die Seite der Jugendlichen, Eltern und der Lehrerschaft stellen

    Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Besucher und Besucherinnen! Meine Damen und Herren Kollegen und Kolleginnen!

    Heute Morgen ist die Superlative in Bezug auf das Zentralabitur mehrfach bemüht worden: das beste Zentralabitur seit 1992.

    Fakt sind aber folgende Dinge: Erstens. 10 % der zentralen Arbeiten sind noch gar nicht ausgewertet. Das heißt, auf diese Art und Weise lässt sich der minimale Vorsprung, der gegenüber dem letzten Jahr besteht, nicht untermauern; das ist rechnerisch überhaupt nicht möglich. Zweitens. Die Ergebnisse der Berufskollegs, die in diesem Jahr am Zentralabitur teilgenommen haben, liegen noch gar nicht vor. Die Behauptung, das sei das beste Zentralabitur seit 1992, scheint offensichtlich nur in der Mär dieses Ministeriums richtig zu sein, aber nicht, wenn man realistische Zahlen zugrunde legt.

    Heute Morgen ist sehr viel von Seifenblasen, von Skandalisierung, Frau Ministerin, von Munitionierung, Herr Solf, gesprochen worden, nach dem Motto: Wir können Schule wunderbar begleiten, wenn wir Munition ausgeben und Tretminen auslegen. – So können wir Schule in diesem Land nicht verbessern. Deshalb bin ich sehr dafür, dass wir bitte ein bisschen sachlicher über die Dinge diskutieren. Es geht nämlich um Schüler und Schülerinnen. Es geht um Lebenschancen. Es geht um Abschlüsse. Es geht um die Leistung von Lehrern und Lehrerinnen. Es geht um den Willen von Eltern und Kindern.

    Eltern in Nordrhein-Westfalen haben die Freiheit zur Wahl der Gesamtschule in der Regel nicht. Mehr als 15.000 Schüler und Schülerinnen haben im letzten Jahr keinen Platz in der Gesamtschule bekommen. Die Gesamtschule wird von den Eltern gewählt werden.
    Kommunen möchten sie gründen. Aber dieses Ministerium schmeißt ihnen Knüppel zwischen die Beine, sodass sie sie nicht gründen können.

    Tatsache ist, dass die Eltern die Plätze nicht bekommen, dass sie nicht angeboten werden und dass damit keine Wahlfreiheit für Eltern in Nordrhein-Westfalen herrscht. Das haben Sie zu verantworten und nicht wir.

    Jetzt komme ich zu einer interessanten Erkenntnis: Die Abiturienten an den Gesamtschulen sind deutlich jünger als die an den Gymnasien. Woran mag das wohl liegen? In der Gesamtschule gibt es kein Sitzenbleiben, offensichtlich gibt es ganz viele Wiederholer an den Gymnasien – das wäre eine Untersuchung wert, das ist durchaus ein Effekt, mit dem Sie sich auseinandersetzen sollten, wenn Sie das Zentralabitur auswerten.

    Jetzt komme ich zu einer weiteren Erkenntnis, meine Damen und Herren: Nicht nur das Alter der Gymnasiasten spielt eine wesentliche Rolle, sondern auch der Einstieg der Schülerschaft in die jeweilige Schulform. Sie von CDU und FDP werden nicht müde, die Heterogenität zu bemühen. Sie beklagen, dass die Heterogenität an den Gesamtschulen nicht gegeben sei, und wundern sich gleichzeitig, dass die Leistungen von den Kindern, die von den Grundschulen als nicht gymnasialgeeignet bezeichnet wurden, am Ende fast denen der Kinder am Gymnasium gleichkommen. Dabei machen Sie das Gymnasium zum Maßstab, ohne die Entwicklung der Kinder in den Gesamtschulen zu sehen.
    In ihnen wird hervorragende Entwicklungsarbeit geleistet, die das Gymnasium nicht leistet.

    Die Frage, die Sie sich stellen sollten, meine Damen und Herren, lautet: Wie gut müsste das Gymnasium eigentlich sein, wenn es sein Schülerpotenzial tatsächlich ausnutzen würde?

    Da hilft übrigens ein Blick in die PISA-Untersuchung, Herr Witzel. Auch dort wird attestiert, dass das Gymnasium nicht so gut ist, wie es eigentlich sein müsste. Das Zentralabitur müsste also noch einmal unter ganz anderen Gesichtspunkten untersucht werden, die über die Aussage hinausgehen, die Gesamtschule vergebe ein „Abitur light“. Frau Sommer, das ist eine Diffamierung von Schülern und Schülerinnen, von Eltern und von Lehrern und Lehrerinnen, wie sie ihresgleichen in diesem Land sucht.

    Das ist eine Diffamierung einer ganzen Schulform, die Sie an dieser Stelle – ich weiß ja nicht, wer Sie beraten hat – möglicherweise gar nicht so gemeint haben. Denn eines ist doch völlig klar: Wenn Sie Ungleiches vergleichen, dann kann am Ende nicht das Gleiche herauskommen. Genau das haben Sie aber getan. Sie haben Ungleiches verglichen und gesagt, am Ende müsse für alle dasselbe herauskommen, statt die Entwicklungsmöglichkeiten zu sehen.

    Dann lassen Sie mich noch darauf hinweisen, dass in diesem Land die Schulen, die zurzeit das Gütesiegel für individuelle Förderung bekommen, überwiegend Gesamtschulen sind. Gesamtschulen in Nordrhein-Westfalen sind offensichtlich auch aus der Sicht Ihres Hauses diejenigen Schulen, die man für individuelle Förderung auszeichnen soll. Konterkarieren Sie nun Ihren eigenen Ansatz?
    Oder sind die Gesamtschulen im Grunde genommen besser, als Sie es bisher vorgetragen haben?

    Es scheint so zu sein, Frau Ministerin Sommer, dass das Rumpelstilzchen-Syndrom, von dem Sie gestern sprachen – ich habe einmal nachgeschaut, was das eigentlich ist; es war gestern in der Presse zu lesen –, auf Sie anzuwenden ist. Das Rumpelstilzchen-Syndrom ist ein Syndrom, das den Eltern vermittelt, dass sie nicht gut genug seien. Über kurz oder lang nimmt die Mutter die Schwäche des Kindes auf, will es auf diese Weise stärken und schützen. Immer geht es dabei um das Gefühl ihres eigenen Mangels, dem sie sich auf diese Weise entziehen will. Wie kommt die Mutter aus dieser Zwickmühle, aus dieser Ohnmacht heraus? Sie flüchtet in einen Aktionismus, hetzt sich und das Kind von einer Therapie zur anderen, angetrieben von der Illusion, irgendwann auf die Wunderheilung zu treffen, die aller Not ein Ende macht.
    Gleichzeitig kann sie sich und aller Welt beweisen, wie sehr sie um das Wohl des Kindes bemüht ist. Mit diesen Anstrengungen wirkt sie dem eigenen Ohnmachtsgefühl entgegen.

    Das, Frau Sommer, ist der Preis, den sie bezahlen muss, um ihr Selbstwertgefühl stabil zu halten. – Ich bedanke mich.