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    17. September 2008

    Mündliche Anfrage: Wo findet zukünftig die Lehrerausbildung für den islamischen Religionsunterricht statt?

    Mündliche Anfrage 239 der Abgeordneten Renate Hendricks auf:
    Wo findet zukünftig die Lehrerausbildung für den islamischen Religionsunterricht statt?

    Am 11. September 2008 berichtet die „WAZ“, dass der Islamforscher Professor Muhammad Sven Kalisch an der Universität Münster einen folgenschweren Streit ausgelöst hat: Er bezweifelt die Existenz des Propheten Mohammed.

    Gemäß dem Zeitungsbericht sagte Kalisch: „es kann nicht widerlegt werden, dass er gelebt hat, aber auch nicht bewiesen”. Er jedoch neige „zunehmend dazu, anzunehmen, dass er nicht gelebt hat, jedenfalls nicht so, wie ihn der Koran und die Hadithe, die Überlieferungen, beschreiben”.
    Zudem fordert er für die islamische Theologie eine historisch-kritische Forschung – sie berücksichtigt Zeitumstände bei der Koran- Auslegung.

    Daraufhin kündigten die muslimischen Verbände die Zusammenarbeit im Beirat des Zentrums für Religiöse Studien auf. Der Koordinierungsrat der Muslime (KRM) erklärte, er könne muslimischen Studierenden nicht länger empfehlen, dort zu studieren. Aus ihrer Sicht wird die historischkritische Herangehensweise abgelehnt. Da an dem Zentrum für Religiöse Studien in Münster die ersten Lehrer und Lehrerinnen für den islamischen Religionsunterricht für NRW ausgebildet werden, ist nunmehr die Zukunft der Lehrerausbildung für den islamischen Religionsunterricht in NRW ungeklärt.

    Ob der Streit Auswirkungen auf den gewünschten bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht hat, darüber gehen die Meinungen auseinander. Der Religionsunterricht scheiterte bisher daran, dass dem Staat ein Partner für die Absprache über Lehrinhalte fehlt. Für das NRWWissenschaftsministerium jedenfalls hat der Streit Konsequenzen für die Lehrerausbildung in Münster. „Wenn vier Verbände dagegen sind, verliert die Ausbildung natürlich an Akzeptanz. Wir müssen Alternativen suchen”, äußerte der Sprecher des Ministeriums, Andre´ Zimmermann.

    Im Deutschlandfunk äußerte sich Minister Pinkwart zu dem Vorfall am Zentrum für islamische Studien: „Wir wollen eine Islamlehrerausbildung, die von den Islamverbänden anerkannt wird, damit die so ausgebildeten Lehrer dann auch in den Schulen ihren Dienst verrichten können.“

    Welche Konsequenzen ergeben sich für die Lehrerausbildung in Münster?

    Beantwortung im Plenarprotkoll:

    Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie:
    Frau Präsidentin! Sehr verehrte Frau Hendricks!
    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst noch einmal eine kurze Begriffsklärung. Das Lehramtsfach „Islamische Religion“ wird an keiner Universität in Nordrhein-Westfalen angeboten. An der Universität Münster werden Lehrerinnen und Lehrer für die Islamkunde ausgebildet, was als Schulversuch eingerichtet worden ist.

    Vereinbarungen des Landes Nordrhein-Westfalen mit islamischen Verbänden in diesem Zusammenhang bestehen nicht. Daher hat der Rückzug der Vertreter des Koordinierungsrates der Muslime in Deutschland aus dem Beirat der Universität Münster keine rechtlichen Auswirkungen.

    Die Akzeptanz der Lehrerinnen und Lehrer durch die islamischen Verbände ist jedoch wichtig. Zur aktuellen Situation: Die laufende Ausbildung der in Münster eingeschriebenen Studierenden ist durch Lehraufträge sichergestellt. Zudem unterstützt mein Haus die Universität Münster dabei, die Lehrerausbildung für Islamkunde an der Hochschule darüber hinaus fortzusetzen.

    Die Universität Münster wird zu diesem Zweck eine weitere Professur in der islamischen Religionspädagogik besetzen. Die Finanzmittel hierfür hat das Land bereits im Jahr 2007 zur Verfügung gestellt, um die Islamwissenschaften in Münster zu stärken und die Lehrerausbildung auszubauen. Dieser Professur soll die Ausbildung in der Islamkunde dann zugeordnet werden. Das Berufungsverfahren an der Universität Münster läuft. Die Hochschule geht davon aus, dass es zeitnah abgeschlossen werden kann. Sobald die Berufungsentscheidung der Universität Münster getroffen worden ist, wird sich die Landesregierung im Austausch mit den islamischen Verbänden darum bemühen, eine möglichst breite Akzeptanz der Lehrerausbildung für Islamkunde an der Universität Münster herbeizuführen.

    Forschung und Lehre von Professor Kalisch bleiben davon unberührt. Die künftige Islamlehrerausbildung in Münster soll jedoch in andere Verantwortung übergehen und auf die zweite Professur übertragen werden.

    Präsidentin Regina van Dinther:
    Das Wort hat Frau Hendricks

    Renate Hendricks (SPD):
    Sehr geehrter Herr Minister Pinkwart, wie beurteilen Sie eigentlich das Vorgehen des Koordinierungsrats der Muslime gegen den Lehrstuhlinhaber Professor Kalisch im Hinblick auf die Freiheit von Forschung und Lehre?

    Präsidentin Regina van Dinther:
    Herr Pinkwart, bitte.

    Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie:
    Frau Präsidentin! Sehr verehrte Frau Hendricks!
    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe auch in allen öffentlichen Stellungnahmen, die ich zu dem Komplex in den letzten Tagen abgegeben habe, deutlich gemacht, dass die grundgesetzlich verbriefte Garantie der Freiheit von Forschung und Lehre in keiner Weise in Frage stehen kann und in Frage steht.

    Darüber hinaus ist natürlich jeder Verband frei darin, seine Wertung zu gewissen Dingen abgeben zu können. Diese Freiheit können wir ihm nicht absprechen.

    Präsidentin Regina van Dinther:
    Danke schön. – Als nächste Rednerin hat Frau Beer das Wort.

    Sigrid Beer (GRÜNE):
    Herr Minister Pinkwart, Streitigkeiten um eine historisch-kritische Exegese gibt es nicht nur im Islam, sondern die hat es auch im Rahmen der evangelischen Bibelexegese weitläufig gegeben.

    In Fortführung der Anfrage von Frau Kollegin Hendricks möchte ich Sie fragen: Wie weit kann der
    Koordinierungsrat eigentlich über die Lehrinhalte Ihrer Meinung nach mitbestimmen? Welche Einflussgröße messen Sie dem zu?

    Präsidentin Regina van Dinther:
    Bitte schön, Herr Minister.

    Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie:
    Frau Präsidentin! Sehr verehrte Frau Beer! Meine
    Damen und Herren! Ich hatte eben bereits deutlich gemacht, dass wir keinerlei vertragliche Verpflichtungen haben anders als sie gegenüber den beiden Kirchen bestehen. Insoweit gibt es keine Mitwirkungsrechte. Das gilt auch für Berufungsverfahren zur Lehramtsausbildung.

    Hier geht es lediglich darum, dass wir uns darum bemühen sollten, mit Blick auf die Lehrerausbildung in der Islamkunde für eine wechselseitige Akzeptanz zu sorgen, damit so ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrer später auch die notwendige Akzeptanz in der Praxis finden.

    Präsidentin Regina van Dinther:
    Danke schön. – Frau Hendricks.

    Renate Hendricks (SPD):
    Sehr geehrter Herr Minister Pinkwart, die wechselseitige Akzeptanz, von der Sie sprechen, war zur Einrichtung des Lehrstuhls für Professor Kalisch gegeben. Nun hat sich das in der Zwischenzeit sozusagen aufgelöst.

    Wie stellen Sie sicher, dass der Koordinierungsrat der Muslime die Akzeptanz des neuen Lehrstuhlinhabers demnächst nicht auch in Frage stellt?

    Präsidentin Regina van Dinther:
    Bitte schön, Herr Minister.

    Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie:
    Frau Präsidentin! Sehr verehrte Frau Hendricks!
    Sehr verehrte Damen und Herren! Es ist nicht einfach, wie wir überhaupt wissen, dass es nicht einfach
    ist, zu einer stärkeren Integration in Deutschland zu finden und dabei die Beteiligten einzubeziehen, egal ob das in der Schule, bei der Lehrerausbildung oder in anderen Fragen der Fall ist. Nicht zuletzt stehen wir ja vor der großen Herausforderung, klären zu müssen, wer der Ansprechpartner ist. Diese Frage zu beantworten, ist nicht ganz einfach, wie Sie wissen.

    Nichtsdestotrotz wollen wir Fortschritte erreichen. Münster ist, wenn Sie so wollen, bundesweit ein Pilot-, ein Schulversuch. Die Anfänge sind gemacht. Jetzt stehen wir an einem Punkt, an dem es ein Problem gibt. Die Hochschule ist damit hervorragend umgegangen, und zwar auch im Zusammenwirken mit Herrn Kalisch, indem sie deutlich gemacht hat, dass die Lehrerausbildung fortgeführt werden kann, die auch bisher schon überwiegend von Lehrbeauftragten wahrgenommen worden ist, aber nur in einem begrenzten zeitlichen Umfang von Herr Kalisch selbst.

    Mit einer weiteren Professur, die wir dort gerne schon im letzten Jahr eingerichtet hätten, will sie versuchen, den Weg erfolgreich fortzusetzen. Wir gehen davon aus, dass das gelingen kann. Eine Garantie dafür gibt es nicht.

    Frau Beer hat es eben angedeutet: Wir hatten das in der Vergangenheit an der einen oder anderen Stelle schon einmal mit Theologie-Professuren, die ihre Arbeit in Forschung und Lehre ebenfalls grundgesetzlich verbrieft haben weiterführen können, aber trotzdem nicht mehr die Anerkennung ihrer jeweiligen Kirchen für die Lehrerausbildung gefunden haben. Das Thema ist nicht ganz neu.

    Hier haben wir eine andere vertragliche Grundlage, vielleicht auch manche Spezialität noch zusätzlich zu berücksichtigen. Das ist ein Lernprozess von dem ich denke, dass wir ihn in Zukunft werden gestalten müssen.

    Präsidentin Regina van Dinther:
    Danke schön, Herr Minister. – Frau Dr. Boos.

    Dr. Anna Boos (SPD):
    Ich hoffe sehr, dass das Ganze richtig gestaltet wird.

    In der „Neuen Ruhr-Zeitung“ von heute wird von einem Votum gesprochen, das von den Islamverbänden eingeholt werden müsse, sobald die Berufungsentscheidung der Universität gefallen sei. Ein Votum stelle ich mir schwierig vor. Herr Minister, können Sie das noch einmal näher beschreiben?

    Präsidentin Regina van Dinther:
    Herr Minister.

    Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie:
    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr verehrte Frau Boos, wir wollen uns darüber austauschen. Es gibt keine vertraglichen Mitwirkungsrechte. Es gibt kein Mitentscheidungsrecht. Für mich war wichtig: Nachdem die Hochschule ihre Berufungsentscheidung getroffen hat, wollen wir im Austausch mit den Verbänden für Akzeptanz werben. Wir müssen abwarten, wie sie darauf reagieren. Eine Garantie gibt es nicht.

    Präsidentin Regina van Dinther:
    Frau Beer.

    Sigrid Beer (GRÜNE):
    Werden in Zukunft noch irgendwelche Anteile der wissenschaftlichen Arbeit von Herrn Prof. Kalisch im Lehramtsstudium anerkannt?

    Präsidentin Regina van Dinther:
    Herr Minister.

    Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie:
    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr verehrte Frau Beer, so wie ich die Universität verstanden habe, wird sich Herr Kalisch mit seinen bislang ohnehin zeitlich sehr eng begrenzten Beiträgen bezogen auf die Lehramtsausbildung für die Islamkunde – darauf beziehe ich mich jetzt – zurückziehen. Inwieweit er darüber hinaus für die Lehramtsausbildung – in welchen Bereichen auch immer – der Hochschule zur Verfügung steht, kann ich Ihnen nicht sagen.

    Präsidentin Regina van Dinther:
    Herr Solf.

    Michael Solf (CDU):
    Herr Minister Dr. Pinkwart, können Sie mir beipflichten, wenn ich sage, dass das eigentliche Problem darin besteht, dass wir auf der einen Seite den Muslimen in ähnlicher, nicht in derselben Weise wie der katholischen und der evangelischen Kirche mit Blick auf Vocatio und Missio die Möglichkeit einräumen müssen, dass sie ihr Plazet geben, wer nun den islamischen Religionsunterricht durchführen wird, auf der anderen Seite aber nie und nimmer zulassen dürfen, dass Einfluss auf Forschung und Lehre an der Hochschule genommen wird?

    Präsidentin Regina van Dinther:
    Bitte schön, Herr Minister.

    Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie:
    Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Solf, ich würde Ihnen sehr gerne ganz zustimmen wollen, aber ich muss eine Differenzierung vornehmen: Was die Freiheit von Forschung und Lehre betrifft, bin ich völlig d’accord. Eine direkte Vergleichbarkeit der Muslime mit den Kirchen haben wir in dem Sinne aber nicht, weil wir andere vertragliche Bindungen haben. Wir wollen eine weitgehende Akzeptanz mit den islamischen Verbänden herbeiführen – das ist richtig –, aber die Form dafür haben wir noch nicht, die müssen wir suchen. Da wir in der Form freier sind, haben wir auch eine Gestaltungsmöglichkeit. Umgekehrt sind wir nicht in der Weise gebunden wie gegenüber den Kirchen. Da würde ich die Differenzierung vornehmen, ansonsten stimme ich Ihnen absolut zu.

    Präsidentin Regina van Dinther:
    Frau Dr. Boos.

    Dr. Anna Boos (SPD):
    In den „Westfälischen Nachrichten“ steht heute auch etwas zum Thema. Darin werden Sie, Herr Minister Pinkwart, so zitiert, dass die Ausbildung an der Universität Münster weiterhin unterstützt werden soll. Wörtlich heißt es:

    Wir haben 2007 der Hochschule das Geld für eine Professur für Islamische Religionspädagogik zur Verfügung gestellt, um die Islamwissenschaften in Münster zu stärken.

    Mit „wir“ ist vermutlich das Ministerium gemeint. Ist das Geld, das die Universität zusätzlich zum Globalhaushalt bekommen hat, oder wie muss ich das verstehen?

    Präsidentin Regina van Dinther:
    Bitte, Herr Minister.

    Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie:
    Frau Präsidentin! Sehr verehrte Frau Boos! Meine Damen und Herren! Genauso ist es. Wir haben aus zwei Erwägungen heraus zusätzliche Mittel gegeben. Die Aktualität des Themas – das ist Ihnen geläufig – hat seit Jahren erhebliche Anforderungen an diejenigen, die auf diesem Gebiet fachlich ausgewiesen sind. Hier war es so, dass sich Herr Kalisch sehr stark in Anspruch genommen sah, zu öffentlichen Fragen Stellung zu beziehen, Bewertungen vorzunehmen. Es war aus dem Blickwinkel der Wunsch, dass wir die Islamwissenschaften als eine wichtige Disziplin verstärken, die in einer Zeit Auskunft geben kann, in der sich unsere Gesellschaft stark mit dem Thema auseinandersetzt.

    Der zweite Aspekt war, dass wir in Anbetracht der Bedarfe für die Lehrerausbildung, wie auch Frau Kollegin Sommer und Herr Kollege Laschet sie sehen, gerne unsere Möglichkeiten ausbauen wollten. Deswegen haben wir das dort mit zusätzlichen Mitteln in Angriff genommen. Es ist allerdings wiederum nicht ganz leicht für eine Hochschule, ein solches Verfahren erfolgreich zu einem Abschluss zu führen. Dafür hat sie etwas Zeit gebraucht. Jetzt läuft ein Verfahren. Wir hoffen darauf, dass es bald zu einem Abschluss geführt werden kann, der dann auch die hinreichende Akzeptanz auf beiden Seiten findet.