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    22. Oktober 2008

    Leiden lindern – Lebensqualität verbessern – Für eine bessere Versorgung von unheilbar kranken und sterbenden Menschen

    Antrag der Fraktion der SPD Leiden lindern – Lebensqualität verbessern – Für eine bessere Versorgung von unheilbar kranken und sterbenden Menschen I. Die Möglichkeiten der Hospizarbeit und Palliativmedizin sind in der Bevölkerung weitgehend unbekannt. Neben der Angst vor Schmerzen, kommt die Angst hinzu
    • vor Abhängigkeit von der Hilfe anderer,
    • Angehörigen zur Last zu fallen,
    • fremde Hilfe nicht bezahlen zu können,
    • ohne menschliche Nähe in einem Krankenhaus oder Pflegeheim zu sterben oder
    • nur noch von Apparaten künstlich am Leben gehalten zu werden.
    Auch wenn diese Ängste vielfach nicht begründet sind, so muss Politik davon ausgehen, dass es sie gibt. Politik hat also einerseits aufzuklären und andererseits die Rahmenbedingungen flächendeckend zu schaffen, dass unheilbar kranke und sterbende Menschen Zugang zu einer bedarfsgerechten Hospiz- und Palliativversorgung erhalten, wodurch Schmerzen und Symptome sterbender Patientinnen und Patienten weitestgehend gelindert, menschliche Nähe und Zuwendung erfahren werden und ein Lebensende in Würde ermöglicht werden kann. Vor diesem Hintergrund ist erklärbar, warum die Mehrheit der deutschen Bevölkerung (58 %) die aktive Sterbehilfe befürwortet, wie Anfang August das Allensbach Institut für Demoskopie nach einer aktuellen Umfrage meldete,. Das Umfrageergebnis scheint der Politik nahe zu legen, aktive Sterbehilfe in Deutschland zu ermöglichen. Die Kernfrage der Befragung lautete wie folgt: „Zur Zeit wird ja viel über aktive Sterbehilfe diskutiert. Das bedeutet, dass man das Leben schwerkranker Menschen, die keine Chance mehr zum Überleben haben und große Schmerzen erdulden müssen, auf deren eigenen Wunsch hin beendet. Sind Sie für oder gegen die aktive Sterbehilfe?“ Diese Formulierung suggeriert den Befragten, dass unheilbar krank sein zugleich mit großen Schmerzen und Hilflosigkeit verbunden ist. Das Befragungsergebnis offenbart in erster Linie, dass die Möglichkeiten der Hospizarbeit und Palliativmedizin in der Bevölkerung viel zu wenig bekannt sind. II. Sowohl die Hospizbewegung als auch die Etablierung der Palliativmedizin in Deutschland ahmen in NRW ihren Ausgang. Seitdem war NRW vielfach auch die treibende Kraft, die Hospizidee zu verbreiten und eine bessere Versorgung durch Hospize und Einrichtungen der Palliativversorgung zu etablieren. NRW war das erste Bundesland, das die in den 1960er Jahren von England ausgehende Entwicklung der Hospizbewegung und Palliativmedizin etablierte. 1983 wurde an der Universitätsklinik Köln die erste Palliativstation in Deutschland eingerichtet. 1986 wurden die ersten stationären Hospize zunächst in Aachen und dann in Recklinghausen gegründet. 1992 richtete die SPD geführte Landesregierung für das Rheinland in Bonn und für Westfalen in Münster die beiden Hospizkoordinierungsstellen ALPHA ein. Heute verfügen wir in NRW über 29 Palliativstationen, 55 stationäre Hospize, 37 spezielle Dienste für Kinder und 298 ambulante Hospizdienste. Kein anderes Bundesland ist ähnlich gut versorgt. Der erste Lehrstuhl für Palliativmedizin in Deutschland entstand in Bonn. Von den fünf heute in Deutschland existierenden Lehrstühlen für Palliativmedizin befinden sich drei in NRW (Aachen, Bonn, Köln) sowie der erste Lehrstuhl für pädiatrische Palliativmedizin in Witten-Herdecke in Verbindung mit der Kinderklinik Datteln. NRW nahm auch – vor allem auf der Basis von in Modellprojekten erarbeiteten Ergebnissen – Einfluss auf die Gesetzgebung im Bund. So geht die 1997 erfolgte Gesetzesregelung zur Finanzierung stationärer Hospize im § 39a SGB V auch auf die Initiative Nordrhein-Westfalens zurück wie auch die Ergänzung eben dieses Paragraphen um Abs. 2 zur Regelung der Finanzierung der ambulanten Hospizdienste in 2001. Um die ambulante Palliativversorgung flächendeckend auszubauen und damit dem Wunsch von weit über 80% der Betroffenen Rechnung zu tragen, ein Sterben zu Hause zu ermöglichen, vereinbarte die rot-grüne Landesregierung mit den Kassenärztlichen Vereinigungen, den Ärztekammern, der Krankenhausgesellschaft Nordrhein Westfalen (KGNW) sowie den Krankenkassen Anfang 2005 ein Rahmenprogramm zur flächendeckenden Umsetzung der ambulanten palliativmedizinischen und palliativpflegerischen Versorgung in NRW. Das Rheinland ist heute auf der Basis dieser Vereinbarung fast vollständig mit entsprechenden Palliativnetzen – inzwischen 30 an der Zahl – versorgt. In Westfalen gibt es 15 palliativmedizinische Netzwerke. Auch diese Vereinbarung hat wieder Wirkung für ganz Deutschland entfaltet, indem 2007 in das GKV-WSG im § 37b SGB V entsprechende Regelungen verankert wurden. Nach der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) gemäß § 37b SGB V „Spezialisierte ambulante Palliativversorgung“ (SAPV) soll den Patientinnen und Patienten ein menschenwürdiges Leben bis zum Tod auch in ihrer vertrauten häuslichen Umgebung oder in einer stationären Pflegeeinrichtung ermöglicht werden. Ziel ist der Erhalt der Lebensqualität und die Förderung der Selbstbestimmung, wobei besonders die individuellen Bedürfnisse und Wünsche der Patientinnen und Patienten im Vordergrund stehen. Nachdem seit März 2008 die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses in Kraft ist und die Gemeinsamen Empfehlungen der Spitzenverbände der Krankenkassen gemäß §132d für die SAPV seit dem 29.07 2008 vorliegen, sind die formalen Voraussetzungen für die Vertragsabschlüsse zwischen den Leistungserbringern und den Krankenkassen erfüllt. D.h. der 2007 im SGB V eingeführte individuelle Leistungsanspruch auf SAPV kann nun praktisch umgesetzt werden. Die SAPV-Richtlinie des G-BA und Empfehlungen der Krankenkassen enthalten eine Reihe offener Formulierungen, die es nunmehr in der Umsetzung in NRW im Sinne einer bedarfsgerechten Versorgung betroffener Patientinnen und Patienten auszufüllen gilt. Dabei sind die gewachsenen Strukturen zu berücksichtigen, zugleich aber die noch fehlenden Bausteine zu ergänzen, um weit mehr Menschen als bisher zu ermöglichen, durch ein umfassendes und ganzheitliches Angebot der Hospiz- und Palliativversorgung zu Hause sterben zu können. III. Die Begleitung schwerstkranker und sterbender Menschen und ihrer Angehörigen zuhause, in Pflegeeinrichtungen, in Hospizen und in Krankenhäusern ist ohne ehrenamtlich Tätige nicht leistbar. Ca. 80.000 Menschen engagieren sich in diesem Bereich in Deutschland, ca. 15.000 bis 20.000 (geschätzt) Menschen in NRW. Sie sind zugleich auch Förderer für den weiteren Bewusstseinswandel in der Gesellschaft und somit unverzichtbar in der öffentlichen Auseinandersetzung um einen respektvollen und damit würdevollen Umgang mit Schwerstkranken und Sterbenden. Die Stärke der Hospizbewegung ist ihr hoher Anteil an ehrenamtlich Tätigen. Ihr Engagement leistet nicht zuletzt einen wesentlichen Beitrag auch dazu, das notwendige Spendenaufkommen als Schutz vor einer möglichen Kommerzialisierung bzw. Ökonomisierung zu sichern. Insbesondere die Begleitung der Trauernden erfährt noch nicht die gebotene Anerkennung. Die Hospizdienste leisten vielfach unentgeltlich die professionelle und kompetente Begleitung Hinterbliebener. So können häufig eine Somatisierung, Verkomplizierung von Trauer und Erstarrung verhindert werden. Auch dieser Aspekt der Arbeit der Hospizbewegung muss verlässlich abgesichert werden. Bei den anstehenden Entwicklungen wird es entscheidend darauf ankommen, neben dem Ausbau spezialisierter palliativmedizinischer und -pflegerischer Angebote eine enge Kooperation vor allem mit den ambulanten Hospizdiensten, aber auch weiteren Berufsgruppen im Sinne eines multiprofessionellen Ansatzes sicherzustellen, um auch die notwendige psychosoziale und spirituelle Begleitung, menschliche Nähe und Zuwendung für die Betroffenen und ihre Angehörigen zu gewährleisten. IV. Die Chancen, die sich aus der nun möglichen Umsetzung des gesetzlich verankerten individuellen Leistungsanspruchs auf eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung für eine verbesserte Versorgung von unheilbar kranken und sterbenden Menschen ergeben, müssen in NRW unbedingt genutzt werden. Daher fordert der Landtag die Landesregierung auf, den weiteren Prozess der Umsetzung der SAPV in Nordrhein-Westfalen moderierend mit zu gestalten und auf die Vertragschließenden Akteure, z.B. im Rahmen der Landesgesundheitskonferenz, Einfluss zu nehmen. Dabei muss auch die Frage der Abgrenzung von SAPV-Leistungen zu den anderen Sozialleistungsansprüchen geklärt werden. Um dem Ziel gerecht zu werden, unheilbar Kranken und sterbenden Menschen ihr Leiden weitestgehend zu lindern, sind aufbauend auf den bestehenden Strukturen,
    • die Leistungen der Koordination als neuer Schwerpunkt der im Rahmen der SAPV zu erbringenden Leistungen – sowohl patientenbezogen als auch bezogen auf die Koordination des Netzwerks – eigenständig zu definieren, zu organisieren und zu finanzieren.
    • die Leistungserbringer aufgefordert, bei der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung und der allgemeinen Palliativversorgung im Sinne eines gesamtkonzeptionellen Ansatzes integrativ zusammenzuwirken und dabei die Verträge seitens der Kostenträger einheitlich und gemeinsam abzuschließen.
    • der notwendige multiprofessionelle Ansatz im Team – über die ärztlichen und pflegerischen Leistungen hinaus – unter Einbeziehung der ambulanten Hospizdienste zu gewährleisten.
    • insbesondere die ärztlichen und pflegerischen Leistungserbringer haben die für die SAPV erforderliche Qualifikation nachzuweisen und mit hoher Kontinuität ausschließlich oder schwerpunktmäßig SAPV zu erbringen. Für den Nachweis der praktischen Tätigkeit sollten im Bereich der nachzuweisenden Qualifikation für Pflegekräfte Übergangsregelungen vorgesehen werden, sofern dies aus Sicherstellungsgründen erforderlich ist.
    • in den Verträgen Regelungen zuzulassen, die eine Verordnung von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln sowie von Krankenhauseinweisungen auch durch die spezialisierten Palliativärzte vorsehen, soweit die ärztliche Leistung von ihnen übernommen wird.
    • den stationären Hospizen die Möglichkeit zu geben, die Teilleistung ärztlicher Versorgung der SAPV in Anspruch zu nehmen oder den Mehraufwand einer qualitätsgleichen ärztlichen Versorgung ebenfalls angemessen zu vergüten.
    • trotz der relativ geringen Fallzahlen eine flächendeckende spezialisierte ambulante Palliativversorgung auch für Kinder und Jugendliche zu ermöglichen, die an der Qualität keine Abstriche zulässt. Das Modellprogramm zur ambulanten Palliativversorgung von Kindern und Jugendlichen ist dazu weiter zu entwickeln und fest zu etablieren.Dabei sind die regionalen Strukturen zu berücksichtigen.
    • sind die Partner in NRW daran zu beteiligen, eine bundeseinheitliche Dokumentationsgrundlage zu schaffen, die eine Evaluation der sich entwickelnden SAPVAngebote und ihrer rechtlichen Vorgaben und einen bundesweiten Vergleich der Ergebnisse ermöglicht.
    Darüber hinaus fordert der Landtag die Landesregierung auf,
    • die Koordinierungsstellen ALPHA institutionell abzusichern und zugleich zu prüfen, in welcher Form der Hospiz-und Palliativverband Nordrhein-Westfalen und die Alphastellen zukünftig abgestimmt die Koordinierungsarbeit auf Landesebene leisten.
    • analog zur rheinland-pfälzischen Regelung sicherzustellen, dass auch in NRW die von der GKV für die Finanzierung ambulanter Hospizdienste gemäß § 39a Abs. 2 SGB V zur Verfügung zu stellenden Mittel zukünftig vollständig ausgeschöpft und den ambulanten Hospizdiensten, die diese Mittel dringend benötigen, zur Verfügung gestellt werden.
    • die Möglichkeiten zur Öffentlichkeitsarbeit zu verbessern.
    • die Qualitätssicherung nicht nur auf die hauptberuflich Tätigen auszurichten, sondern die Ehrenamtlichen mit einzubeziehen, indem sie in Vorbereitungskursen für ihre schwierige Tätigkeit befähigt und durch Supervision begleitet werden.
    • sicherzustellen, dass die palliativmedizinischen Lehrstühle auch bei Wegfall von Drittfinanzierungen erhalten bleiben, sowie ein Lehrstuhl für Palliativ Care geschaffen wird.
    • im neuen Wohn- und Teilhabegesetz eine menschenwürdige Sterbebegleitung als einen zu berücksichtigenden Faktor bei der Zertifizierung von Pflegeeinrichtungen zu verankern.
    Der Landtag fordert die Landesregierung auf, im Bund darauf hinzuwirken,
    • dass die Finanzierungsgrundlagen der ambulanten Hospizdienste und stationären Hospize im § 39 a SGB V überarbeitet werden, um zu einer nachhaltigen Absicherung der Hospizarbeit und einer besseren Berechenbarkeit ihrer finanziellen Situation zu kommen.
    • die Betäubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMVV) so zu ändern, dass stationäre Hospize analog zur vorgesehenen Regelung für die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV), einen BtM-Pool bilden können, so dass nicht verwendete Medikamente, die der BtMVV unterliegen, einer weiteren Nutzung zugeführt werden können und diese auch im Notfall zur Verfügung stehen.
    • einen Parteien übergreifenden Konsens über die Bedeutung von Patientenverfügungen herbeizuführen, der dem Grundsatz von Autonomie und Selbstbestimmung der betroffenen Schwerstkranken und Sterbenden so weit wie möglich Geltung verschafft, ohne einen Automatismus in Gang zu setzen, und der den Dialog aller Beteiligten bei der Entscheidungsfindung ermöglicht. Dabei sollten die Empfehlungen der Bundesärztekammer und ihrer zentralen Ethikkommission einbezogen werden.
    Hannelore Kraft Carina Gödecke Britta Altenkamp Heike Gebhard und Fraktion