Suchen

 
     

    02. April 2009

    Sonderpädagogische Förderung: Benachteiligung abbauen, Integration ausbauen, Inklusion verwirklichen!

    Antrag der Fraktion der SPD Sonderpädagogische Förderung: Benachteiligung abbauen, Integration ausbauen, Inklusion verwirklichen! Auch in Nordrhein-Westfalen werden Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen oder Lern- und Entwicklungsstörungen frühzeitig aus dem allgemeinen Schulsystem aussortiert. Im Schuljahr 2007/2008 waren es ca. 112.000 Schülerinnen und Schüler, die in einer separaten Förderschule unterrichtet wurden. Die gesellschaftlichen Folgen für die Schülerinnen und Schüler bedeuten häufig die soziale Ausgrenzung aus dem Alltag. Das gemeinsame Lernen von Schülerinnen und Schülern mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf hingegen ist systembedingt selten. Die Quote der gemeinsamen Beschulung von Schülerinnen und Schülern mit und ohne Behinderungen oder Lern- und Entwicklungsstörungen liegt in Nordrhein-Westfalen an allgemeinbildenden Schulen im Schuljahr 2007/2008 bei 12,6 Prozent (rund 16.000 Schülerinnen und Schüler). Damit liegt Nordrhein-Westfalen deutlich unter dem bundesweiten Durchschnittswert von 17 Prozent. International liegen die Quoten deutlich höher: In Norwegen und Italien z.B. bei fast 100%, in Großbritannien, Schweden, Dänemark und Österreich über 30%. Die Lehrerinnen und Lehrer sowie das weitere Fachpersonal in der Sonderpädagogik leisten gute Arbeit. Doch in einem von vornherein auf Separation ausgelegten Schulsystem haben sie nur wenige Möglichkeiten, um gegen die soziale Ausgrenzung ihrer Schülerinnen und Schüler gezielt vorzugehen. Die Integration von Schülerinnen und Schülern mit Behinderungen in das allgemeine Schulsystem wird in Nordrhein-Westfalen stark vernachlässigt. Der Wunsch vieler Eltern ihre betroffenen Kinder integrativ und wohnortnah in allgemeinen Schulen zu fördern, kann nur selten umgesetzt werden. Die bereitgestellten Plätze im Gemeinsamen Unterricht reichen bei weitem nicht aus, so dass Eltern mit ihren Kindern abgewiesen werden. Urteile des Bundesverwaltungsgerichts (BverwG 5 C 34.06 und BverwG 5 C 35.06) und des Verwaltungsgerichts Köln (VerwG Köln 10 K 761/07) stärken die Wahlfreiheit der Eltern. So hat das Bundesverwaltungsgericht festgestellt, dass nach den gesetzlichen Bestimmungen (§ 40 Abs. 1 Nr. 4 BSHG in Verbindung mit § 12 Nr. 1 der Eingliederungshilfeverordnung) die Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung Maßnahmen zugunsten behinderter Kinder und Jugendlicher umfassen, wenn sie erforderlich und geeignet sind, den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern. Ziel ist es, dass der besondere Förderbedarf in der Regel nicht zu einer Beschulung in besonderen Einrichtungen führen darf. Kinder und Jugendliche mit Behinderungen oder Lern- und Entwicklungsstörungen sind darin zu unterstützen, an gesellschaftlichen Entwicklungen teilzuhaben und ein möglichst selbständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen. Dies schließt die Vorbereitung auf die Teilhabe am Erwerbsleben ein. Alle Bildungseinrichtungen müssen auf ein barrierefreies Lernen hinwirken. So ist die Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen oder Lern- und Entwicklungsstörungen grundsätzlich Aufgabe aller Bildungseinrichtungen. Die Landesregierung Nordrhein-Westfalens hat in der Sitzung des Bundesrates vom 19. Dezember 2008 der UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen zugestimmt. In dieser Konvention heißt es in Artikel 24, dass Menschen mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden dürfen und Zugang zu einem integrativen, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen haben müssen. Weiter heißt es, dass die Vertragsstaaten dazu verpflichtet seien, geeignete Maßnahmen zur Einstellung von Lehrkräften zu ergreifen. Die UN-Konvention bestimmt also nicht nur das Ziel eines integrativen, gemeinsamen Unterrichts von Menschen mit und ohne Behinderung, sondern legt auch fest, dass dieser durch eine ausreichende Einstellung von Lehrkräften gewährleistet werden muss. Die UN-Konvention fordert - auch wenn dies in der deutschen Übersetzung nicht berücksichtigt wurde - ein "inclusive education system". Ein solches inklusives Bildungssystem unterscheidet sich von einem integrativen System. Die integrative Pädagogik strebt die Eingliederung der aussortierten Schülerinnen und Schüler an. Eine inklusive Pädagogik hingegen sortiert erst gar nicht aus. Inklusion bedeutet, dass Strukturen und Didaktik von vornherein auf die Unterschiedlichkeit der Schülerinnen und Schüler und individuelles Fördern und Fordern ausgerichtet sind. Auch wenn ein selektives Schulsystem wie das deutsche zunächst bestenfalls ein integratives seien kann, muss das Ziel die Inklusion sein. Notwendig ist deshalb eine Neuorientierung in der sonderpädagogischen Förderung, die die gegenwärtige integrative Phase als Übergangsphase zu einem vollständig inklusiven Bildungssystems des gemeinsamen Lernens bis zum Ende der Pflichtschulzeit betrachtet. Dass die Umsetzung der UN-Konvention eine Verpflichtung für die Landesregierung sein muss, unterstreicht die Landesbehindertenbeauftragte Angelika Gemkow. Sie stellte in ihrer Pressmitteilung vom 14. März 2009 fest: "Die UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderung formuliert Menschenrechte und macht diese weltweit verpflichtend. Erstmals werden Visionen und Ziele rechtlich verankert. Die Konvention steht für die Werte, auf die unser Gesellschaftssystem aufgebaut ist. Sie ist eine weltweite Verpflichtung, Diskriminierung und Ausgrenzung behinderter Menschen zu bekämpfen sowie Teilhabe zu sichern. Sie ist eine wichtige Richtschnur, an der wir zukünftig unsere behindertenpolitischen Positionen und Zielsetzungen sowie unsere gesetzlichen Grundlagen weiter entwickeln müssen." Viele Verbände unterstützen die Forderung nach mehr Integration. Die Lebenshilfe z.B. kritisiert das mangelnde integrative Bildungsangebot in Deutschland und den für behinderte Kinder in Deutschland üblichen Weg in die Sonder- bzw. Förderschule als mit der UNKonvention nicht vereinbar. Gleichwohl ist festzustellen, dass die Landesregierung nicht handelt. Ganz im Gegenteil: Zahlreiche nordrhein-westfälischer Elterninitiativen protestierten heftig gegen die von der Landesregierung vorgenommene "Deckelung" der Lehrerstellen für Integrationsschulen der Sekundarstufe I. In der Konsequenz führt dies dazu, dass bisherige Integrationsschulen Personal für die Errichtung zusätzlicher Integrationsklassen bereitstellen müssten. Auch der Gemeinsame Unterricht ist in Nordrhein-Westfalen nur mangelhaft ausgestattet. Viel zu wenige Plätze können angeboten werden. Viel zu viele Eltern und ihre Kinder werden abgewiesen. Die Landesregierung lässt den Gemeinsamen Unterricht auf Sparflamme laufen und verschlechtert sogar die Situation. So kürzt z.B. die Bezirksregierung Arnsberg die Stellen für den Mehrbedarf von 0,1 Stellen auf 0,05 Stellen und setzt vermehrt Hauptschullehrer anstatt Sonderpädagogen ein. Die Bezirksregierung Köln kürzt derweil beim Mehrbedarf von 0,1 auf 0,08 Stellen. Der Landtag stellt fest:
    • Kinder und Jugendliche mit Behinderungen oder Lern- und Entwicklungsstörungen dürfen nicht aufgrund mangelnder Ressourcen und bürokratische Hemmnisse benachteiligt werden;
    • eine Änderung des Gesamtsystems der sonderpädagogischer Förderung ist dringend notwendig;
    • die Integrationsquote in Nordrhein-Westfalen ist deutlich zu erhöhen;
    • Ziel ist ein inklusives Bildungssystem, das das gemeinsame Lernen bis zum Ende der Pflichtschulzeit umfasst.
    Der Landtag fordert die Landesregierung auf:
    • als Sofortmaßnahme den Integrations- sowie den GU-Klassen ausreichende Ressourcen bzw. Lehrerstellen zur Verfügung zu stellen;
    • die Integration von Schülerinnen und Schülern mit Behinderungen oder Lern- und Entwicklungsstörungen in das allgemeine Schulsystem als Leitgedanken festzuschreiben;
    • in Zusammenarbeit mit den Schulträgern Konzepte und Maßnahmen zu entwickeln, um den Gemeinsamen Unterricht im Primarbereich flächendeckend anbieten zu können und um im Sekundarbereich deutlich mehr Plätze bereitzustellen;
    • Bausteine sonderpädagogischer Förderung obligatorisch in der Lehrerausbildung aller Schulformen zu verankern;
    • Konzepte und Maßnahmen für die Entwicklung der Lehrerfortbildung zu erarbeiten, die den Schwerpunkt auf Themen wie "Heterogenität", "Diagnostik" und "offene Unterrichtsmethoden" legen;
    • Lehrkräfte sowie weitere beteiligte Professionen fortzubilden und zu qualifizieren;
    • dafür zu sorgen, dass die geplanten neuen KMK-Empfehlungen den Weg in ein inklusionsfähiges Bildungssystem aufzeigen, das den Anforderungen der UNKonvention über die Rechte behinderter Menschen gerecht wird;
    • ein Konzept zur wissenschaftlichen Begleitung und zur Evaluation der Umstrukturierung der sonderpädagogischen Förderung zu entwickeln.
    Hannelore Kraft Carina Gödecke Ute Schäfer und Fraktion