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    28. April 2009

    Sprachförderung neu organisieren

    Antrag
    der Fraktion der SPD

    Sprachförderung neu organisieren

    Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

    • eine Evaluation vorzulegen, in der die Wirkung und die Wirksamkeit, die Effizienz und Effektivität der bisherigen Maßnahmen in Bezug auf die Sprachfähigkeit der Kinder bei der Einschulung in ein Verhältnis zu den finanziellen Aufwendungen gesetzt und darüber hinaus mögliche Alternativen und deren Kennzahlen aufgezeigt werden,
    • ein Konzept der frühzeitigen und lückenlosen Sprachstandsfeststellung vorzulegen, das die bekannten Defizite im bisherigen Verfahren erkennbar vermeidet,
    • ein Konzept der lückenlosen und ganzheitlichen Sprachförderung von Kindern von der Geburt bis zum Alter von zehn Jahren vorzulegen, das auch die Einbeziehung der Elternhäuser vorsieht,
    • ein Verfahren zur Qualitätsprüfung der zurzeit in Nordrhein-Westfalen stattfindenden Weiterbildungen zur Sprachförderung vorzulegen, das neuere Erkenntnisse der Linguistik berücksichtigt,
    • die Fortsetzung der Sprachförderung in den Schulen in ausreichendem Maße zu er- möglichen und den Schulen dazu Ressourcen zur Verfügung zu stellen,
    • ein Konzept zur zukünftigen Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher in Fragen der Sprachdiagnostik und Sprachförderung vorzulegen, das auch Erkenntnisse zur Vermittlung von Deutsch als Zweitsprache berücksichtigt.

    Begründung

    Seit 2006 nehmen alle nordrhein-westfälischen Kinder zwei Jahre vor der Einschulung an einem verbindlichen Test teil, der Aufschluss über ihren Sprachstand geben soll. Das Instrument, das dabei landeseinheitlich verpflichtend eingesetzt wird, ist der Test „DELFIN4“. Sowohl die Testung als auch die sogenannte „zusätzliche Sprachförderung“ werfen in der Praxis erhebliche Probleme rechtlicher und verfahrenstechnischer, diagnostischer, methodischer sowie pädagogischer Art auf, die in ihrer Gesamtbetrachtung dazu führen sollten, das Verfahren grundlegend anders anzulegen.

    Eine Orientierung hierfür kann die Empfehlung 12.23 der Enquetekommission „Chancen für Kinder“ des Landtags Nordrhein-Westfalen sein, in der es heißt,

    „Alle Veränderungen im Erziehungs- und Bildungssystem sollen einem doppelten wissenschaftlichen Anspruchgenügen. Sie sollen zum einen begründbar sein und zum anderen durch regelmäßige Evaluationen auf ihre Wirkungen hin überprüft wer- den und somit auch modifizierbar bzw. revidierbar sein. Damit geht auch der Anspruch an eine Effektivitäts- und Effizienzüberprüfung des Mitteleinsatzes einher.“

    Diese sehr weitgehende und im Kern radikale Formulierung beschreibt ein Idealziel, das immer nur bruchstückhaft verfolgt werden kann, da es einerseits zu Reformen aller Art ermuntern, andererseits aber einen Riegel vor Maßnahmen eines blinden Aktionismus durch die Politik oder andere Akteure schieben soll. Die Forderung nach einer Revidierbarkeit der Veränderungen macht außerdem deutlich, dass diese Empfehlung den Fortschritten beim wissenschaftlichen Disput der Fachdisziplinen untereinander und miteinander ausdrücklich Rechnung trägt.

    Zur Vorgehensweise bei komplexen Fragestellungen - darum handelt es sich beim Thema „Sprachstand und Sprachförderung“ eindeutig - hat die Enquetekommission ebenfalls klar Stellung bezogen, indem sie ihre eigene Arbeit an klaren Prioritäten orientiert hat: Zunächst sollten das Kind und seine Bedürfnisse im Sinne eines umfassenden Begriffs des Kindes-wohls betrachtet werden, in zweiter Linie das Lebensumfeld und der Sozialraum des Kindes, in dritter Linie die Ergebnisse, die Institutionen wie Kindertagesstätten und Schulen „produzieren“ und erst in vierter Linie die in der Politik allgegenwärtige Frage des Budgets.

    Nach nunmehr zwei Jahren Sprachstandsfeststellungsverfahren DELFIN4 und „zusätzlicher Sprachförderung“ ist es an der Zeit, die erkennbaren Fehler im Verfahren zu beheben. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund wichtig, dass sich prinzipiell alle Akteure im Erziehungs-, Bildungs- und Betreuungssystem wie auch alle Parteien auf Landes- und Bundesebene darin einig sind, dass der Sprachfähigkeit der Kinder eine ganz besondere Bedeutung für ihre aktuellen und zukünftigen Lebenschancen zukommt. Gerade vor diesem Hintergrund ist es wichtig, den effektiven und effizienten Mitteleinsatz zu überprüfen. Neben den vielen Anstrengungen aller Beteiligten (Familien, Träger, Kommunen, Kindertageseinrichtungen, Schulen etc.) sind im Landeshaushalt 2009 allein 28 Millionen Euro für die Sprachförderung nach dem sogenannten Kinderbildungsgesetz vorgesehen. Von dieser Investition erwarten die Menschen in Nordrhein-Westfalen berechtigterweise, dass sie einen entscheidenden Beitrag zur Verbesserung der Sprachfähigkeit der Kinder leisten kann.

    Der rechtliche Rahmen

    Das deutsche Kinder- und Jugendhilferecht formuliert eindeutig, dass sich die Förderung von Kindern „am Alter und Entwicklungsstand, den sprachlichen und sonstigen Fähigkeiten, an der Lebenssituation sowie den Interessen und Bedürfnissen des einzelnen Kindes orientieren“ soll. Dabei ist „seine ethnische Herkunft [zu] berücksichtigen“ (SGB VIII § 22 Abs. 3). Das SGB VIII fordert also in völliger Übereinstimmung mit den Prioritätensetzungen der Enquetekommission ein Denken „vom Kind aus“, das die persönlichen, lebensweltlichen und kulturellen Hintergründe des Kindes zum Ausgangspunkt jeder Förderung macht. Im nord-rhein-westfälischen Ausführungsgesetz zum Kinder- und Jugendhilferecht, dem sogenannten Kinderbildungsgesetz, wird zwar ausdrücklich auf den § 23 Abs. 3 SGB VIII Bezug genommen, dann aber ein neuer Sachverhalt, nämlich „Sprachkenntnisse in altersgemäß üblichem Umfang“, eingeführt. Da nun aber dieser Sachverhalt nicht objektiv ermittelt werden kann und gleichzeitig in § 21 KiBiz ein zusätzlicher Zuschuss von 340 € je Kind und Kindergartenjahr vorgeschrieben wird, muss es ein Verfahren zur Ermittlung geben, das zumindest in zwei wesentlichen Fragen durch das Schulgesetz (v.a. § 36 SchulG) normiert wird. Dort wird zweifelsfrei festgelegt, wer wann über die altersgemäße Sprachentwicklung entscheidet: Das Schulamt stellt zwei Jahre vor der Einschulung fest, ob Kinder die deutsche Sprache hinreichend beherrschen. Dadurch, dass im gleichen Absatz die Schulen zur Mitwirkung verpflichtet werden, ist darüber hinaus auch verfahrenstechnisch abgesichert, dass Lehrerinnen und Lehrer über die Verteilung der vorgesehenen 340 € entscheiden können, indem sie den zusätzlichen Förderbedarf feststellen. Da nun aber weder die Lehrerinnen und Lehrer noch die Schulämter über die notwendige Information verfügen, ob ein Kind altersgemäß sprachlich entwickelt ist, wird der standardisierte Test DELFIN4 durchgeführt. So hat der Gesetzgeber in Nordrhein-Westfalen abgesichert, dass alle Kinder zwei Jahre vor der Einschulung verpflichtend an einem Sprachtest teilnehmen.

    Leider ist der Öffentlichkeit bislang nicht vermittelt worden, welche Kosten allein aus dem Verfahren entstehen, dessen Ergebnis nichts weiter ist als die Feststellung, welche Einrichtung je Kind und Jahr 340 € erhält. Eine Gesamtrechnung, die zur Ermittlung der Effizienz und der Effektivität die Voraussetzung ist, müsste die Kosten benennen, die die Entwicklung des Sprachstandsfeststellungsverfahrens, die personelle Unterstützung durch die Verwaltungen auf allen Ebenen, die Einsätze der Lehrerinnen und Lehrer, die Bereitstellung von Vertretungen für diese Lehrerinnen und Lehrer, die Einsätze der Erzieherinnen und Erzieher sowie deren Vertretungen, die Ermittlung aller infrage kommenden Kinder, die Information ihrer Eltern und alle mit diesen Maßnahmen in Verbindung stehenden Aufwände mit sich bringen. Dies alles sind Kosten, die entstehen, bevor auch nur ein einziges Kind eine zusätzliche Sprachförderung erhalten hat.

    Offensichtliche Probleme bei der Sprachstandsfeststellung

    Sprachstandsfeststellungen setzen wissenschaftliche Kompetenzen der Sprachentwicklung, der Sprachdiagnostik und der Sprachförderung voraus, daher ist zu prüfen, inwieweit Praxis und Konzeption des nordrhein-westfälischen Sprachstandserhebungsverfahrens den aktuellen entwicklungstheoretischen, entwicklungsdiagnostischen und entwicklungsförderlichen Standards in vollem Umfang entsprechen. In dieser Hinsicht ist die wissenschaftliche Beobachtung und Bewertung des derzeit angewendeten Verfahrens besonders im Hinblick auf seine diagnostische und prognostische Tragfähigkeit und Verlässlichkeit extern zu evaluieren. Dabei sind unbedingt auch die von Praktikern wie von Beobachtern geltend gemachten, teils wissenschaftlich begründeten, teils alltagstheoretisch motivierten praxisbezogenen Stellungnahmen zu berücksichtigen. So werden etliche Kritikpunkte am Testverfahren DELFIN4 und den oben beschriebenen Sachverhalten geäußert, nicht zuletzt durch erfahrene Verbände sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen. Allen voran die Linguisten, die – etwa im Rahmen entsprechender Expertisen für das Bundesministerium für Bildung und Forschung – das mehr oder weniger grammatik- und syntaxorientierte Verständnis von Sprache und sprachlichen Fähigkeiten kritisieren; von Entwicklungs- psychologen und Pädagogen, die den kindfernen Ansatz der diagnostischen Praxis zum Anlass ihrer teils scharfen Kritik nehmen; von Entwicklungsforschern, denen das hier vorausgesetzte psycholinguistische Konzept der Stufen und der Niveaus der Aneignung sprachlicher Fähigkeiten zu eng erscheint. Den Abgeordneten des Landtags und den Ressorts der Landesregierung gehen viele entsprechende Stellungnahmen zu, die von den Fachministerien im Wesentlichen mit einem Hinweis auf die Expertise der mit der Testentwicklung beauftragten Wissenschaftlerin beantwortet werden, ohne sich jedoch inhaltlich dazu zu verhalten. Zwei des Öfteren als gravierend bezeichnete Probleme, die DELFIN4 und die zugehörigen Verfahren mit sich bringen, sind diese:

    1. Wie erfasst DELFIN4 „satzgrammatische Kompetenz“, insbesondere die jener Kinder, deren Muttersprache nicht das Deutsche ist?
    Der Test ist ausschließlich auf die Zielsprache Deutsch ausgerichtet und ermittelt systematisch nicht den Sprachstand von anderssprachigen Kindern, lässt also keinerlei Aussage zu deren Entwicklungsstand zu. Ein Beispiel aus dem Test mag dies verdeutlichen: Das sprachliche Wissen der Kinder wird durch das Nachsprechen sogenannter „Quatschsätze“, das heißt rein grammatikalisch „korrekter“ Sätze, getestet. Soll ein Kind aber diese Sätze als Beispiele für richtige grammatische Satzmuster erkennen, so setzt das gute, nicht zuletzt satzgrammatische Kenntnisse der Bildung von Sätzen in der deutschen Sprache voraus. Das so aufgefasste Nachsprechen von „Quatschsätzen“ in der „Muttersprache“ wird in seiner kompetenzrelevanten Aussagekraft von vielen Fachleuten bekanntlich angezweifelt; in einer fremden Sprache jedenfalls gibt es darüber hinaus erst recht keinerlei Auskunft über das grammatische Wissen eines Kindes, das zwei Jahre vor der Einschulung steht. Wie aus verschiedenen Untersuchungen bekannt ist, leben zurzeit ca. 20% der nordrhein-westfälischen Kinder in Haushalten, in denen kein deutsch gesprochen wird. Selbst eine Hochbegabung im sprachlichen Bereich würde bei einer Testung nur durch die schnöde Feststellung überlagert, dass das Kind kein deutsch spricht und die Einrichtung daher 340 € für die zusätzliche Sprachförderung erhält. Diese Feststellung jedoch könnte auch durch eine schlichte Befragung bei den Tageseinrichtungen und den Eltern erreicht werden.

    2. Inwieweit berücksichtigt DELFIN4 das sich verändernde Einschulungsalter der Kinder?
    Der Test ist eindeutig ausgerichtet auf (deutschsprachige) Kinder, die vier Jahre alt sind. Im Zuge der sukzessiven Vorverlegung der Einschulung auf Fünfjährige, werden nun aber vermehrt dreijährige Kinder getestet. Diese befinden sich auf einem sprachlich anderen Entwicklungsstand als ein Jahr später. Dem versucht man neuerdings mit einer modifizierten Punktevergabe für unter Vierjährige gerecht zu werden. Die dem zugrunde liegende Vorstellung, Sprachentwicklung finde linear statt und sei daher im Alter von drei Jahren um einen berechenbaren Faktor niedriger als im Alter von vier Jahren ist jedoch banal und kaum zu untermauern.

    3. Die Liste der darüber hinaus auftretenden Probleme mit DELFIN4 ist lang. So wird beispielsweise von Kindern berichtet, bei denen eine von Fachärzten diagnostizierte einhundertprozentige Schwerbehinderung im sprachmotorischen Bereich festgestellt wurde, die schon bei der Aufnahme in die Kindertageseinrichtung eine entsprechende Förderung erhalten und dennoch am Sprachtest (für Nichtbehinderte) teilnehmen müssen. Hier könnte man dem Kind die völlig überflüssige Bescheinigung des zusätzlichen Sprachförderbedarfs ersparen.

    Des weiteren wird aus vielen Kommunen berichtet, dass eine ganze Reihe von Kindern, bei denen die am Test beteiligten Erwachsenen einhellig von zu geringen Deutschkenntnissen ausgehen, eine zweite Testung („Besuch im Pfiffikus-Haus“) durchführen müssen. Selbst die zweite Testung führt dann zum Teil zu einem nicht erwarteten Ergebnis. In einigen Kommunen haben sowohl die Erzieherinnen und Erzieher als auch die Lehrerinnen und Lehrer den Eindruck, dass die Zahl der Kinder mit zu geringen Deutschkenntnissen angestiegen ist, die Zahl der zu fördernden Kinder jedoch rückläufig. Viele Beteiligte kritisieren auch die offen- sichtlich wahllose Ziehung der Grenze zwischen denjenigen Kindern, deren Testergebnis knapp über oder knapp unter der Punktzahl 47 lag (genauer: 47,7 bzw. 47,8). Ebenso willkürlich erscheint die Grenze am anderen Ende der Skala (33,7 bzw. 33,8 Punkte), wo zwischen Teilnahme an der zusätzlichen Sprachförderung und Teilnahme an der 2. Stufe des Tests unterschieden wird.

    Am Ende des Verfahrens stehen Kinder, deren Einrichtungen die 340 € erhalten und Kinder, deren Einrichtungen keine Mittel für die zusätzliche Sprachförderung erhalten. In allen Fällen, in denen die Beteiligten durch eine schlichte Beobachtung und Dokumentation sehr eindeutig feststellen können, ob das Kind über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt, um in zwei Jahren erfolgreich am Schulunterricht teilnehmen zu können, empfinden viele das Verfahren als unnötig bürokratisch oder sogar überflüssig. In allen „Grenzfällen“ jedoch - das sind zumindest theoretisch diejenigen, die in die zweite Testphase kommen - wird deutliche Kritik am Verfahren und am Ergebnis formuliert. Diese vermeintliche „Grauzone“, die der Test nicht etwa aufdeckt sondern produziert, ist ganz normaler Ausdruck kindlicher Kompetenzunterschiede, die sich eigentlich auf eine differenzierte Sprachdiagnostik und eine individualisierte Sprachförderungspraxis auswirken müssten. Der Test bewirkt jedoch nichts weiter als die Verteilung von Geldmitteln.

    Offensichtliche Probleme bei der Sprachstandsfeststellung

    Die eingangs zitierte Empfehlung der Enquetekommission verlangt eindeutig eine Überprüfung der Wirkung einer Maßnahme. Zwei Jahre nach Einführung der oben beschriebenen Verfahren werden die ersten Kinder eingeschult, die daran teilgenommen haben. Über die Wirkung der ergriffenen Maßnahmen ist jedoch nichts bekannt. Gebetsmühlenartig wird von der Landesregierung wiederholt, dass 340 € je Kind zur Verfügung gestellt werden und im gleichen Atemzug eine sprachfördernde Wirkung dieses Betrages unterstellt. Neben der technisch ansprechend aufgemachten, jedoch (vergleicht man sie mit den sprachdidaktischen Standards der Primarstufe in NRW sprachwissenschaftlich nur teilweise angemesse- nen Handreichung mit den Sprachförderorientierungen des Generationenministeriums hat sich in Nordrhein-Westfalen ein buntes Gemisch an Anbietern für die Ausbildung von „Expertinnen und Experten“ für Sprachförderung etabliert, deren eigene wissenschaftliche, didaktische und diagnostische Expertise nicht unbedingt eine herausragende Wirksamkeit erwarten lässt. Da konkurrieren zum Beispiel psycholinguistische, sprachheilpädagogische, lernpsychologische, logopädische Konzepte der Diagnose und Förderung miteinander, die einer kritischen wissenschaftlichen Prüfung ihrer theoretischen Grundlagen, ihrer methodischen Verfahren und ihrer Empirie kaum standhalten würden. Dies alles auch vor dem Hintergrund, dass wissenschaftliche Untersuchungen kaum Unterschiede feststellen konnten zwischen Kindern, die an einer speziellen Sprachförderung teilgenommen haben und Kindern, die in der gleichen Zeit einfach nur eine Kindertageseinrichtung besuchen.

    Es wäre vielleicht besser, in die Lern- und Lebensumwelt, die Kompetenzen der Erzieherinnen und Erzieher und die häusliche Umgebung zu investieren als willkürlich festgelegte Geldbeträge zu verteilen, die in vielen Fällen nur ausreichen, um im Rahmen kleiner Zeitfenster einen mitunter fragwürdigen Sprachunterricht zu erteilen.

    Für eine Neuorientierung der Sprachförderung

    Die erfolgreiche Entfaltung von sprachlichen Kompetenzen ist auf günstige Rahmenbedingungen angewiesen. Kinder brauchen ein adäquates zielsprachliches Vorbild. Dies setzt eine entsprechende Qualifikation aller am Bildungsprozess Beteiligten voraus. Dabei sollte auf kulturelle Vielfalt im Curriculum und eine prinzipiell positive Einstellung zur Herkunftskultur und zur Muttersprache der Kinder geachtet werden.

    Eine intensive sprachliche Förderung sollte schon in den Elternhäusern ansetzen, spätes-
    tens jedoch mit dem Eintritt in die Kindertageseinrichtung beginnen. Daher sollten Maßnahmen ergriffen werden, die eine Bildungsbeteiligung aller Kinder im Vorschulalter erreichen. Der Schwerpunkt sollte dabei auf Kindern mit nicht deutschsprachigen Elternhäusern liegen. Die Förderung sollte als kontinuierlicher Bildungsprozess angelegt sein und auch in der Schule fortgesetzt werden. Alle Kinder, auch diejenigen, die unterjährig aufgenommen werden, sollten vom ersten Tag an in der Einrichtung sprachlich gefördert werden. Die Bedarfe nach zusätzlicher Sprachförderung sollten von den Kindertageseinrichtungen gemeldet werden.

    Dabei sind die Eltern mit nicht deutscher Familiensprache wichtige Partner und sollten in ihrer Kompetenz gestärkt werden. Hervorragende Ergebnisse haben hier die sogenannten Rucksackprojekte der RAA geliefert, die in allen Kindertageseinrichtungen angeboten werden sollten. Eine Rechenschaftspflicht gegenüber den Eltern könnte zur Dokumentation der Lernfortschritte sinnvoll sein. Unabdingbar ist eine Passung und Übergangsregelung zwischen der vorschulischen Sprachförderung und der anschließenden Förderung mit den weitgehend bewährten Erfahrungen und Methoden der Primarpädagogik.

    Die Kreativität von Kindern ist eine wichtige Ressource beim Erlernen der Sprache. Diese gilt es zu nutzen und zu fördern. Dabei ist, wie bei der Vorschulerziehung insgesamt, auf dem eigenen Wissen, den Fertigkeiten und den Erfahrungen des Kindes aufzubauen.

    Die Sprachentwicklung jedes Kindes ist zu dokumentieren, die Entwicklung der Sprache und der Sprachförderung sind zu evaluieren und mit den Eltern zu besprechen. Dabei müssen die motorische, emotionale, soziale und kognitive Entwicklung sowie der kulturelle Hintergrund der Kinder der Ausgangspunkt sein und nicht ein wie auch immer definiertes statisches Bild eines zu erwartenden Entwicklungsstandes in einem bestimmten Alter. Eine effektive Sprachförderung setzt voraus, dass die Erkenntnisse der Spracherwerbsforschung in die Praxis umgesetzt und kontinuierlich, wissenschaftsbasiert und praxisnah evaluiert werden. Erzieherinnen und Erzieher sind in einen konsequenten Wissenstransfer aus der Spracherwerbsforschung in die Praxis einzubinden. Die Sprachförderkompetenz der Erzieherinnen und Erzieher ist letztlich der entscheidende Garant für das Gelingen jeder Sprachfördermaßnahme.

    Mehrsprachigkeit ist für die kulturelle und die ökonomische Kompetenz sowie für die Welt-
    Integration von großer Bedeutung. Daher sollte sie als Mehrwert für die Kinder und Familien sowie für das Land insgesamt gewürdigt und gefördert werden.

    Hannelore Kraft
    Carina Gödecke
    Britta Altenkamp
    Wolfgang Jörg
    Ingrid Hack
    Renate Hendricks

    und Fraktion