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    07. Dezember 2007

    Rede zu dem Antrag der CDU und FDP "Qualitätsoffensive für unsere Schulen statt Fortsetzung der alten Strukturdebatte"

    Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Auch nach der bisher geführten Debatte erschließt sich mir der Sinn dieses Antrags nicht – außer er ist Kitt und Mäntelchen dafür, dass es einen Streit in der Koalition zum Thema Schulsystem gibt.
    Zum Zweiten, Herr Solf, bedanke ich mich dafür, dass Sie heute Morgen auch nachdenkliche Töne formuliert haben. Es scheint auch in der CDU Ansätze zu geben, an denen wir zukünftig vielleicht anknüpfen können. Entsprechendes habe ich allerdings bei der FDP nicht gehört. Ich frage mich ernsthaft, Frau Pieper-von Heiden: Ist das, was Sie heute Morgen vorgetragen haben, mit Ihrer Parteispitze abgestimmt, oder vertreten Sie hier mittlerweile alleine Positionen?
    Denn Ihre Einlassungen zum Thema Schulsystem sind nicht nur unterirdisch, sondern auch wissenschaftlich in keiner Weise fundiert.

    Wenn Sie die PISA-Studie lesen, Frau Pieper-von Heiden, werden Sie feststellen, dass Ihre Einlassungen, die Sie heute Morgen formuliert haben, so nicht haltbar sind. Aber wir als SPD sind gerne bereit, für Sie Lesepate zu spielen, damit Sie die PISA-Studie besser verstehen.
    Sie haben im letzten Jahr ein Schulgesetz auf den Weg gebracht, das mit Superlativen verbunden worden ist: das beste Europas.
    Sie werden verstehen, dass sich auch nach der letzten PISA-Studie diese Superlative in keiner Weise erschließen und nicht haltbar sind. Ich prognostiziere Ihnen jetzt: Dieses Schulgesetz wird über die nächste Legislaturperiode hinaus keinen Bestand haben,gleichgültig, wer hier regiert, weil Sie dieses Schulgesetz in dieser Festlegung von begabungsgerechten Schulformen nicht werden durchhalten können.

    Sie können jetzt „Öh“ und „Oh“ sagen; das ändert aber nichts daran, dass der Mainstream und die Meinungen in der Bevölkerung Sie in der Zwischenzeit eingeholt haben, meine Damen und Herren. Da hilft es auch nichts, wenn Sie forsa-Umfragen zitieren. Seit die Veränderung des Schulsystems diskutiert wird, gibt es in Deutschland fünf Umfragen. Die einzige, die mit einem solchen Ergebnis aufwartet, ist die forsa-Umfrage. Es kommt nämlich immer darauf an, wie man fragt.

    Die Frage bei der forsa-Umfrage war manipulativ und hat genau die Antworten gebracht, die sie bringen sollte. Wenn Sie diese Umfrage heute zitieren, kann man daran feststellen, dass Sie auf eine offene Diskussion schlicht und einfach keinen Wert legen.

    Wir von der SPD wollen eine veränderte Lernkultur. Wir wollen eine neue Philosophie von Schule, und wir wollen nicht das, was Sie uns immer unterstellen, nämlich Gleichmacherei. Gleichmacherei betreiben Sie. Denn Sie machen nicht Einheitsschule, sondern Einheitsunterricht. Sie schaffen es zum einen nicht, individuell zu fördern, und zum anderen schaffen Sie Einheitsunterricht in Schulen, die Sie als Profil festschreiben.

    Wir beschäftigen uns in der Enquetekommission „Chancen für Kinder“ – das wissen Sie – auch mit dem Thema Schulsystem. Vielleicht können wir zu diesem Punkt die Enquetekommission noch einmal neu beauftragen, oder die Enquetekommission nimmt ihn zumindest mit auf. Ich würde mir sehr wünschen, dass dann für die Schulen das Profil der Vielfalt im Vordergrund steht und nicht das Profil der Einfalt, sodass wir zukünftig eine vielfältige Schule haben, in der die vielfältigen Begabungen von Kindern und Jugendlichen wirklich gefördert werden können.
    Frau Pieper-von Heiden, lassen Sie mich speziell für Sie ein Zitat aus der PISA-Studie vorlesen:
    „Je früher die Schülerinnen auf unterschiedliche Einrichtungen und Bildungsgänge verteilt werden, desto stärker ist der Effekt des durchschnittlichen sozioökonomischen Hintergrunds einer Schule auf die Leistungen.“

    Dieses ist eine völlig klare Aussage. Wenn Sie das immer wieder negieren, kann ich nur sagen: Werden Sie doch endlich lernfähig, Frau Pieper-von Heiden!

    Es ist ein Skandal, dass Sie nicht lernfähig werden. Denn auf diese Art und Weise ist die Entkopplung von sozialer Herkunft und Bildungserfolg in Deutschland und auch in Nordrhein-Westfalen nicht zu erreichen.
    Das hat Ihnen Herr Munoz, das hat Ihnen die EU mit auf den Weg gegeben und sinnigerweise jetzt auch noch die neue Untersuchung des DIW, die deutlich gemacht hat, dass die Innovationskraft des deutschen Bildungssystems nicht ausreicht und deutlich mehr Innovationskraft hineinkommen muss.

    Noch ganz kurz zu dem, was Sie heute auf den Weg bringen wollen: Wir haben zurzeit eine katastrophale Situation in den Schulen. Wir haben keinen Unterrichtsausfall mehr, sondern wir haben betreuten Unterrichtsausfall, weil die Lehrer fehlen.

    Wir haben die Aufstockung in der Sekundarstufe I mit einer Komprimierung von Stunden, gegen die sich die Elternproteste zurzeit mehren. Wir haben Schulprofile, die nicht mehr bedient werden können, weil die Grundversorgung angestrebt ist. Wir haben Förderangebote, die nicht mehr bedient werden können, weil die Grundversorgung nicht stimmt. Die Grundschulpools sind leer, weil es keine Lehrer und Lehrerinnen mehr gibt.

    Das ist die Realität an den Schulen. Und Sie tragen die individuelle Förderung wie eine Monstranz vor sich her, ohne sie tatsächlich mit Leben zu füllen. Es hat sich in unseren Schulen nicht viel zum Guten gewandelt. Aber das Klima hat sich verschlechtert.
    Wir wollen auch einmal auf die Innovationskraft dieses Antrags schauen. Es gibt viele Anträge in der Pipeline, in denen es darum geht, innovative Schulsysteme auf den Weg zu bringen. Daran, wie Sie mit diesen Anträgen umgehen, wird die Glaubwürdigkeit dieses Antrags gemessen werden. Denn wenn Sie diese Anträge alle abschmettern, wird damit ganz klar, dass es Ihnen nicht um die Innovation, sondern um die Bedienung Ihrer Ideologie geht.