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Rede zur Schulpolitik (SPD Parteitag 2007)

Wenn der Wind der Veränderung weht dann müssen wir ihn nutzen und unsere Segel setzen!

Liebe Genossen und Genossinnen!

Mit unserem Antrag zur Bildungspolitik nehmen wir die landesweite schulpolitische Diskussion der SPD auf und konkretisieren diese.

Wir machen deutlich, dass wir ein Bildungssystem haben wollen, indem alle jungen Menschen Chancen erhalten. Chancengleichheit ist ein Wert an sich. Zudem besteht aufgrund der Menschenrechte eine Verpflichtung allen Menschen faire Chancen zur Entwicklung ihrer Fähigkeiten zu gewähren. Das Recht auf Bildung ist niedergeschrieben in der UN-Erklärung über die Rechte der Kinder. Der Sonderberichterstatter der UN Senior Munoz hat in seinem Abschlussbericht in diesem Jahr sehr deutlich gemacht, dass wir mit dem in Deutschland bestehenden Schulsystem diesem Anspruch nicht genügen. Wir grenzen aus, schneiden von Bildungschancen ab und bieten sozial Benachteiligten und Kindern mit Zuwanderungsgeschichte zu wenig Chancen, um nur einige Problemfelder zu benennen. Er hat auch darauf hingewiesen, dass die Gesamtschule Bonn Beuel, die Schule war, die ihm während seines Besuches in Deutschland am besten gefallen hat.

Chancenungleichheit in der Bildung gefährdet den sozialen Zusammenhalt. Sozialer Zusammenhalt und Vertrauen in die Gesellschaftsordnung sind die Basis der in der Bildung erfolgreichen Länder.

Die Ungleichheiten in der Bildung ergeben sich aus einem Bündel unterschiedlicher Ursachen. Eine Ursache sind die unterschiedlichen Schulformen in Deutschland, die Kinder und Jugendliche zu früh sortieren und voneinander trennen. Damit findet eine gemeinsame Sozialisation nicht oder nur begrenzt in außerschulischen Kontexten statt. Kinder erhalten so wenige Angebote, Möglichkeiten und Settings für ihre, gerade auch soziale, Entwicklung. Ihre Entwicklung wird aufgrund der Umgebung und der unterschiedlichen Lernanforderungen höchst unterschiedlich verlaufen. Diese Unterschiedlichkeiten der Einflüsse haben Auswirkungen auf Einstellungen, Werte, Offenheit, Neugier, Zutrauen zu sich selbst, zur gesundheitlichen Entwicklung, zu Prävention, zur eigenen Anstrengungsbereitschaft, zum politischen Engagement, zur Bereitschaft ehrenamtlich tätig zu werden.

Schulversagen, Schulabbruch, unzureichende Leistungen, sozial schwierige Verhältnisse oder problematische soziale Gruppen führen zu sozial unterschiedlichen Lernmilieus und zu zusätzlichen Risiken für die junge Genreration.
Die internationalen Studien, die in Deutschland und anderen Ländern durchgeführt wurden, haben dies nachdrücklich offenbart.

Die SPD fordert seit Jahrzehnten mehr Chancengleichheit. Der Bildungsrat hat 1968 eine Empfehlung für längeres gemeinsames Lernen gegeben. Gesellschaftlich war es in Deutschland bisher nicht durchsetzbar. Aber die wissenschaftlichen Ergebnisse lassen unsere Positionen in einem neuen Licht erstrahlen. Kinder länger gemeinsam lernen zu lassen, machen uns die erfolgreichen Staaten der Welt vor. Auch dort gibt es Probleme mit der individuellen Förderung. Den Hebel umzustellen bringt noch nicht den Erfolg. Aber sich mental auf heterogene Gruppen einzustellen ist die Vorbereitung und Notwendigkeit für eine Veränderung im Bildungssystem.

Eine demokratische Gesellschaft braucht ein ganzheitliches Bildungskonzept. Bildung und Erziehung sind in der Schule nicht zu trennen. Bildung muss auch sozial ganzheitlich verstanden werden. Kinder sind in ihren Talenten reich und unterschiedlich. Diese Vielfalt fordert einen Blick auf die Lernenden. Das Kind, der Jugendliche muss in den Mittelpunkt gerückt werden. Nicht die Strukturen. Alle, die von der Einheitsschule reden, versuchen über die Strukturdiskussion den Blick auf die Kinder zu verstellen.

Zukünftig soll kein Kind scheitern müssen! Kinder sollen nach ihren Fähigkeiten und Talenten individuell gefördert werden. Wir wollen Kinder und Jugendliche dazu motivieren über sich selbst hinaus zu wachsen, und werden dafür viel bekommen. Kinder müssen ihren Lernweg verantwortlich mitgestalten, Reflexion des eigenen Verhaltens und Lernens, Fehler machen dürfen, aus Fehler lernen, mit anderen zusammen arbeiten, sich austauschen, erklären und erklären lassen. Musisch, kulturell, handwerklich, werteorientiert, ganzheitlich, intellektuell: Dies alles sind Merkmale und Stichpunkte einer guten Bildung. Beschämen, Sitzenbleiben und Abschulen darf es nicht mehr geben. Diese Mechanismen einer selektiven Schule entsprechen nicht den Leitzielen einer demokratischen Gesellschaft. Dies entspricht aber erst recht nicht den Leitzielen der SPD.

Das bestehende Schulsystem ist ständisch und hierarchisch organisiert.

Mehr als 60 Prozent der Kinder gehen in Bonn auf das Gymnasium. Damit ist das Gymnasium eigentlich die „Hauptschule“ unserer Gesellschaft. Aber mehr und mehr Eltern und auch Lehrer und Lehrerinnen möchten ein anderes System. Dies zeigen auch die hohen Anmeldungen an den Gesamtschulen in Bonn, die wir nicht mit ausreichenden Plätzen bedienen können.
Diese Entwicklung ist überall im Land festzustellen. 17000 Schüler und Schülerinnen haben in diesem Jahr keinen Platz an einer Gesamtschule in NRW bekommen. So viele wie noch nie zuvor. Viele wissen in der Zwischenzeit, dass man das Bildungssystem durch längeres gemeinsames Lernen verbessert könnte.

Selbst in der CDU dämmert es, dass das bestehende Bildungssystem nicht haltbar ist. In dem Gesprächsprotokoll des Landeselternrats der Gesamtschulen heißt es: "Frau Ministerin Sommer wies darauf hin, dass die demographische Entwicklung und das Anmeldeverhalten der Eltern ein Nachdenken über die Schulstruktur in NRW in den nächsten Jahren notwendig machen. Zeitlich werde dies nicht in dieser Legislaturperiode geschehen, aber auch nicht erst in 10 oder 12 Jahren."

Auf einer großen Tagung des DGB diese Woche in Essen hat Herr Wössman vom IFO Institut erneut gefordert, Schulen zu schaffen, die längeres gemeinsamen Lernen ermöglichen, weil unser bestehendes Schulsystem in hohem Maße unsozial sei. Herr Sinn, ebenfalls IFO Institut hat die selbe Forderung bereits vor längerem formulieret. Immer mehr Menschen verstehen, dass wir nur dann eine Chance haben, alle Kinder ihren Begabungen entsprechend zu fördern und ihnen Entwicklungsmöglichkeiten zu geben, wenn wir das Schulsystem verändern.

Eine Veränderung in den Schulen kann man nicht dadurch erreichen, dass man den Hebel einfach umstellt und die Schulen zwingt jetzt alle Kinder zu unterrichten. Eine Veränderung benötigt Zeit. Zeit, die man den Schulen und den Menschen zur Veränderung geben muss. Man muss aber die Möglichkeiten und Rahmenbedingungen für Veränderungen schaffen. Ich bezeichne dieses Vorgehen als einen Weg der Ermöglichungspolitik. Selbständige Schule, OGs, jahrgangsübergreifend, Integration, alles braucht seine Zeit, bis es bei den Menschen ankommt.

Wir müssen Vertrauen schaffen, Ressourcen bereit stellen, Lehrerbildung verändern, die Schulen bei dem Prozess der Veränderung unterstützen. Jede Schule muss selbst entscheiden können, wann sie "längeres gemeinsames Lernen" verwirklicht.
Qualitätsentwicklung von Schule ist dabei ein notwendiger Prozess, den die Menschen in der Schule verantwortlich mitgestalten müssen. Diesen Prozess wollen wir ermöglichen und den Sonderweg Deutschlands beenden. Wir wollen endlich mit unserem Bildungssystem wieder international anschlussfähig werden und zugleich sozial gerecht sein, so wie es uns erfolgreiche Staaten vormachen. Wir wollen alle mitnehmen und keinen zurücklassen.

Dies macht der Antrag deutlich. Dabei wollen wir längeres gemeinsames Lernen für alle Kinder und Jugendliche in einer integrativen Ganztagschule anbieten. Es kann nicht darum gehen, die Menschen zu zwingen, sondern sie zu ermuntern und ihnen die Möglichkeiten der Veränderungen zu eröffnen. Dabei formulieren wir aber auch den Anspruch der Richtigkeit unseres Denkens.

Wenn der Wind der Veränderung weht dann müssen wir ihn nutzen und unsere Segel setzen!