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    02. April 2009

    Sonderpädagogische Förderung: Benachteiligung abbauen, Integration ausbauen, Inklusion verwirklichen!

    Rede von Renate Hendricks im Plenum am 2.4.2009 zum Antrag der SPD: Sonderpädagogische Förderung: Benachteiligung abbauen, Integration ausbauen, Inklusion verwirklichen! Zum Antrag...

    - Es gilt das gesprochene Wort -

    vor mehr als 30 Jahren starteten in Deutschland die ersten Schulversuche mit den so genannten Integrationsklassen, in denen nicht behinderte und behinderte Kinder gemeinsam unterrichtet wurden. Lehrer, Eltern und Wissenschaftler hatten sich engagiert und erfolgreich für das gemeinsame Lernen eingesetzt. Allerdings ohne nennenswerte Ausweitung.

    Im März 2007 musste UN-Bildungsinspektor Vernor Muñoz in seinem Bericht feststellen, dass das deutsche Schulsystem die Chancengleichheit von Behinderten nicht gewährleistet. Das Konzept der Integration habe nicht verhindert, dass die meisten dieser Kinder gezwungen seien, Sonderschulen zu besuchen – auch gegen den Willen ihrer Eltern.

    Deutschland hat sich nun mit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet, ein inklusivesBildungssystem zu schaffen.

    Die Kultusminister hingegen wollen sich drei Jahre Zeit nehmen, um auf die neue Rechtslage zu reagieren. Dabei wäre es dringend Zeit mit den Kommunen und Schulträgern Lösungen zu erörtern. Die Lehrerbildung entsprechend zu verändern, entsprechende Fortbildung anzubieten und Lehrstühle für Heterogenität und Integration an den Hochschulen zu schaffen.

    Sozialverbände und Behindertenorganisationen sehen die Übereinkommen als einen Meilenstein und glauben, dass die Eltern auf der Grundlage der UN-Konvention ihre Rechte auf einen Integrationsplatz einklagen werden, wenn die Behörden ihre Kinder in eine Sonderschule abschieben.

    Das halten wir nicht nur für realistisch, sondern für NRW für zwingend erforderlich, weil diese Landesregierung dem Wunsch der Eltern nach mehr Integration nicht nachkommt. In Bayern gab es jetzt einen Vorgeschmack darauf, was passieren wird. Das Freiburger Verwaltungsgericht verdonnert das Land Baden-Württemberg dazu, der Freien Waldorfschule Emmendingen die Genehmigung als Ersatzschule zur integrativen Beschulung von geistig behinderten Schülerinnen und Schülern in den Klassen eins bis zwölf zu erteilen und bezieht sich dabei auf die UN-Konvention.

    In NRW werden nur 12,6 Prozent der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf in die normalen Schulen integriert. Laut KMK-Statistik werden 84,3 % der Schüler/innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Erhebungsjahr 2006 getrennt unterrichtet. Fast 90 % dieser Schüler/innen gehören zur untersten sozialen Schicht. Unsere Schulstrukturen sorgen also perfekt dafür, dass die sozial randständigen Milieus von vornherein ausgegrenzt werden. Deutschland ist Spitzenreiter in der sozialen Exklusion von Kindern mit Behinderungen und sozialer Benachteiligung.

    Dabei handelt es sind nicht nur um die Schwerstbehinderten, die Trisomie 21-Kinder, die Querschnittsgelähmten, Autisten oder Blinden, die auf den Sonderschulen landen, sondern es sind auch die Hyperaktiven, die Rechenschwachen oder die sozial Schwierigen. Oder einfach nur die Armen und die Ausländerkinder. Ausländische Kinder landen mehr als doppelt so häufig auf Lernbehindertenschulen wie deutsche Kinder. Viele von ihnen, weil sie keine ausreichenden Deutschkenntnisse besitzen.

    An den Schulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen versammelt sich die Hälfte aller Sonderschüler.
    Es gibt Schulträger, die den Abgängern von Förderschulen Zeugnisse auf einem Städtischen Briefkopf ausstellen, damit eine zu große Stigmatisierung im zukünftigen Leben vermieden wird.Der Weg der Sonderschule den wir im internationalen Vergleich gehen, ist gescheitert. Die Regelschule soll aus unserer Sicht auch für Kinder mit Behinderungen die Regel werden - und nicht die Ausnahme sein.

    Prof. Werning aus Hannover hat im Bericht zum Deutschen Bildungswesen die Passagen über die Sonderschulen geschrieben. Sein Beitrag endet mit dem Wort: Stagnation. Integration tritt auf der Stelle. Sie bewegt sich in der Regel nur dann, wenn Eltern durch Klagen Terrain erobern. Dabei ist auffällig, dass Bildungseltern eher einen Integrationsplatz für ihre Kinder erhalten, als andere. Alle Untersuchungen, zur Lern- und Leistungsentwicklung sowie zum Selbstkonzept von Schülern, so führt Werning aus, weisen keine Effekte nach, die überzeugend genug wären, die Sonderbeschulung aufrecht zu erhalten.Aber die Entscheidung für oder gegen Integration ist zugleich die Entscheidung für eine bestimmte pädagogische Orientierung und die damit verbundene Veränderung ist von dieser Regierung nicht gewollt. Zugleich trägt die Sonderpädagogik mit der Verteidigung der Förderschulen zur Stabilisierung des gegliederten Schulsystems bei.

    Stattdessen kürzen Sie die Lehrerzuschläge. In Bonn werden zum kommenden Schuljahr weniger Kinder integrativ in der Sekundarstufe I unterrichtet als im Jahr zuvor. Aus den Räten gibt es Proteste, die Eltern protestieren in Köln und anderen Orten. Die Lehrer/innen sehen, dass Integration Unterstützung und ausreichenden Ressourcen benötigt, wenn man allen Kindern gerecht werden will und der eigenen Ausbeutung entgegen wirken soll. Was diese Landesregierung jedoch tut, ist Integration durch mangelhafte Ausstattung bewusst zu gefährden.

    Behinderte Kinder lernen an den Sonderschulen weniger als an normalen Schulen. Nicht einmal 20 Prozent Förderschüler schaffen einen Hauptschulabschluss. Meine Damen und Herren, nicht die Sonder- oder Förderschulen sind gescheitert, sondern die Politik, die an dieser Form der Sonderpädagogik meint festhalten zu müssen und vielen jungen Menschen den Weg in ein selbst bestimmtes Leben verbaut.

    Dabei entscheidet oft der Zufall darüber, wer auf einer Sonderschule landet. In Schleswig-Holstein werden heute bereits 45 Prozent aller Kinder integrativ beschult, in NRW nur 12,6 Prozent. Schleswig Holstein will in den nächsten zehn Jahren eine Integrationsquote von 85 Prozent erreichen, so wie im Rest von Europa. Das wäre auch eine Zielvorgabe für NRW. Es wäre zudem ein deutliches Signal an die Eltern und ihre Kinder.
    Aber meine Damen und Herren, wo bleiben ihre Signale, bisher habe ich in dieser Debatte keine vernommen. Und ihr Handeln lässt auch keine erkennen. Stagnation, abwarten, Positionierung vermeiden. Das ist kein Signal, das ist Resignation, und das ist Rückschritt.

    Wenn Kinder in den Schulen Probleme machen, werden diese häufig auf die Sonderschule abgeschoben. ADS-Kinder, LRS Kinder, Kinder mit Rechenschwäche werden auf Sonderschulen geschickt. Dies ist ein Skandal, der darin gipfelt, dass es fast keinen Weg zurück aus der Förderschule gibt.

    Die KULTUSMINISTER wollen nun für Sonderschüler einen eigenen Abschluss schaffen um diese Jugendlichen aus den Schulabbrecherstatistiken verschwinden zu lassen. Statt statistische Tricks anzuwenden, sollten sie endlich Vorschläge machen, wie sie die UN-Behindertenkonvention in NRW umsetzen.

    Wir, meine Damen und Herren haben eine Vision einer guten Schule für alle Kinder vor Augen, eine Schule, in der die Individualität von Kindern und Jugendlichen gewürdigt, ihre Lernausgangslagen und besonderen Voraussetzungen respektiert und alle Kinder auf vielfältige Weise angeregt werden sich zu entwickeln und zu hohen Leistungen befähigt werden.

    Sie meine Damen und Herren benötigen Nachhilfe, in Pädagogik, Menschlichkeit, Vernunft und Verantwortung: Eine Gesellschaft kann nicht existieren, wenn fast ein Viertel ihrer Mitglieder nicht am Leben teilhaben kann, weil die jungen Menschen nicht lesen gelernt haben und dazu noch zwischen vier und acht Prozent auf das reduzierte Bildungsangebot einer Sonderschule beschränkt werden. Wenn die Vernunft nicht reicht, muss das Recht helfen. Entweder schaffen sie jetzt die rechtlichen und Grundlagen oder die Gerichte werden diese schaffen. Nur dann ist ihre Politik überflüssig.