Suchen

 
     

    09. September 2009

    Rede von Renate Hendricks im Plenum am 09.09.2009 zum Antrag Bündnis 90/ Die Grünen: Leistung anerkennen - Elternwille respektieren: Gesamtschulfeindliche Politik beenden Zum Antrag

    - Es gilt das gesprochene Wort -

    Anrede …
    Landesweit wurden fast 25 Prozent der Viertklässler an den Gesamtschulen angemeldet. Eltern stimmen mit den Füßen für die Gesamtschule ab: Für die integrativen Konzepte, für den rhythmisierten Ganztag, für eine offen gehaltene Schullaufbahn, für ein Abitur nach 9 Jahren. 40 Initiativen in NRW sind aktiv, die sich für die Gründung neuer Gesamtschulen einsetzen und engagieren.

    Diese Entwicklung ist zweifellos eine Reaktion auf die Bildungspolitik der schwarz-gelben Landesregierung.

    Trotz der großen Nachfrage konnten auch in diesem Jahr rund 15.000 Schülerinnen und Schülern aufgrund fehlender Kapazitäten kein Gesamtschulplatz angeboten werden. Statt die Anstrengungen der Gesamtschulinitiativen positiv zu begleiten und im Sinne des klaren Elternwillens aktiv zu werden, behindert die Landesregierung Neugründungen von Gesamtschulen wo und wie sie kann. Mit Tricks, unnötigen Gegenlungen, Verhinderungsstrategien. Gesamtschulen werden von dieser Regierung diskriminiert, Schulträger werden behindert, Eltern ausgebremst, Schüler und Schülerinnen an neuen Gesamtschulen benachteiligt, weil ihnen der Ganztag versagt wird.

    Ohne rechtliche Grundlage gab das Schulministerium für Neugründungen von Gesamtschulen vor, dass ein Drittel der Schülerinnen und Schüler über eine Gymnasialempfehlung verfügen muss. Erst das Urteil des Kölner Verwaltungsgerichts zu der geplanten Gesamtschulgründung in Bonn stoppte das willkürliche Handeln des Schulministeriums.

    Eltern wollen ihre Kinder auf Gesamtschulen schicken, weil sie alle Bildungsgänge offen hält und zu erstaunlichen Ergebnissen führt. Etwa, dass 70 Prozent aller Abiturienten an der Gesamtschule eben keine gymnasiale Empfehlung hatte. Die Gesamtschule ist sozial, gerecht, bildungsoffen und leistungsfähig.

    Immer mehr Eltern wollen längeres gemeinsames Lernen für ihre Kinder. Dies ist z.B. mit der Umfrage der Stadt St. Augustin aus dem Frühsommer dieses Jahres noch einmal sehr deutlich bestätigt worden. Mit 81 Prozent Rücklauf der Fragebögen weisen die Ergebnisse eine beachtliche Repräsentativität auf. Und die Ergebnisse sind eindrucksvoll. 63,5 Prozent der Eltern würden für ihre Kinder eine Gesamtschule bevorzugen.

    Die Festlegung der CDU auf das dreigliedrige Schulsystem findet immer weniger Akzeptanz in der Bevölkerung. Oder spitzer formuliert: Die Erkenntnisse der Wissenschaft sind bei den Eltern und Lehrern angekommen, werden aber von der CDU offiziell mit Hartnäckigkeit ignoriert. Hinter verschlossenen Türen allerdings tobt innerhalb der CDU ein Richtungsstreit. Viele in der CDU wissen nämlich:

    Der Druck insbesondere in den ländlichen Regionen ist so groß, dass man mit den alten Antworten nicht mehr weiter kommt.

    Anstatt sich zu bewegen, versucht die CDU die Wähler zu täuschen. Prinzipientreu und realitätsfern hält sie an der Dreigliedrigkeit des Schulsystems fest. Zum Schaden der Kinder und gegen den Willen vieler Eltern.

    Die eingangs bereits erwähnten Ergebnisse der Umfrage der Stadt St. Augustin stellen mit Sicherheit keine singuläre Situation dar. Die Ergebnisse werden weit über die St. Augustin hinaus von Bedeutung für die zukünftige Schulentwicklung in NRW sein. Sie machen zudem deutlich, dass die Kommunen mehr Mitspracherechte bei der Gestaltung des Schulangebotes vor Ort erhalten müssen als das Schulgesetz von NRW es derzeit ermöglicht. Dabei sind insbesondere die Wünsche der Eltern in die Schulentwicklungsplanung ernsthaft mit einzubeziehen. Dies entspricht auch den Wünschen der Kommunen, die sich mehr Gestaltungsrechte beim Vorhalten von Schulangeboten vor Ort wünschen.

    Dramatisch wird Politik, wenn sie den Kindern und Jugendlichen zum klaren Nachteil gereichen.
    Ein weiteres Ergebnis der Umfrage von St. Augustin ist nun, dass sich in der Sekundarstufe nur noch 22 Prozent der Eltern eine Halbtagsschule wünschen. Für nur 18 Prozent spielt der Ganztag keine Rolle. Die „klassische Halbtagschule rückt aus dem Blickfeld“, schreiben die Verfasser der Studie. Die Eltern wollen jedoch nicht die Ganztagshauptschule, denn sie wollen die Hauptschule gar nicht mehr.

    Sie wollen zu einem großen Anteil ein integratives Schulsystem, das eine zu frühe Festlegung auf Bildungsgänge vermeidet und Bildungschancen damit offen hält.

    Dies ignoriert die Landesregierung für neu gegründete Gesamtschulen. So wurde der vierten Gesamtschule in Bonn der Ganztag verweigert. Diese Entscheidung ist pädagogisch nicht zu begründen.
    Sie ist ausschließlich aus ideologischer Sicht zu verstehen und absolut nicht kindorientiert.
    Mit einer scheinheiligen Begründung, dass die Schulen, die bisher keinen Ganztag erhalten haben, nun Ganztag erhalten sollen, (vornehmlich Hauptschulen und Realschulen), wird den Kindern in den neu gegründeten Gesamtschulen der Ganztag verweigert. Nun sollte es verantwortlichen Politikern eigentlich gleichgültig sein, an welcher Stelle Schüler und Schülerinnen bestmöglich gefördert werden. Zumal – wenn Ganztaghauptschulen kurz nach der Umwandlung bereits von der Schließung bedroht oder sogar betroffen sind.

    Seit den ersten PISA-Veröffentlichungen im Jahre 2001 wissen wir einmal mehr, dass die derzeitige Struktur der Schulformen und die damit verbundene Verteilung von Schülerströmen im dreigliederigen System nach der 4. Klasse unausweichlich zu vielen falschen Prognosen und falschen Zuordnungen zu Schullaufbahnen führen.

    Damit verstößt dieses System nicht nur gegen den Grundsatz der Chancengleichheit, sondern es wird aus seiner Systemlogik und -praxis heraus selber zur Quelle einer Ungerechtigkeit. Und dies, meine Damen und Herren, obwohl doch Verfassung und Gesetze genau dies verhindern wollen.

    Streng genommen ist dieses Schulsystem nach Struktur und Praxis verfassungswidrig.