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25. November 2008

Einführung in den Landtagstalk "Die Erde schmilzt": Sprache und Sprachförderung vom Kind aus gedacht

Die Grenzen der Sprache sind die Grenzen der Welt, wusste schon der österreichische Philosoph Ludwig Wittgenstein. Sprache vermittelt kulturelle Identität und ermöglicht Teilhabe an der Gesellschaft.

Seit einigen Jahren besteht in der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion Einigkeit darüber, dass der Spracherwerb entscheidend für die weitere intellektuelle Entwicklung von Kindern ist. Zu dieser Erkenntnis haben nicht zuletzt die schlechten Ergebnisse in den internationalen Studien von IGLU und PISA geführt. Seit dem PISA-Schock aus dem Jahr 2000 sind in Deutschland viele hektische Reformen durchgeführt worden mit der berechtigten Zielvorstellung, zukünftig bei internationalen Tests besser abzuschneiden.

Ideen zur sprachlichen Frühförderung führen bundesweit zu einer Fülle von unterschiedlichen Aktivitäten und Konzepten, die von den Ländern in die Tat umgesetzt werden. Es handelt sich dabei um durchaus kritisch zu betrachtenden Reformen, wenn man sich z. B. die gesetzlich verpflichtende Sprachstandsfeststellung in NRW ansieht. Das Konzept Delfin 4, von Frau Prof. Fried von der Universität Dortmund entwickelt, ist auch nach den jüngsten Nachjustierungen nicht wirklich geeignet, Sprachfähigkeit und Förderbedarf aller Kinder sicher zu diagnostizieren.

Was aber leistet diese Sprachstandsfeststellung mit der sich daran anschließenden Sprachförderung in NRW tatsächlich? Oder dient der Test eher dazu, Basisdaten zu erheben, um die Wirksamkeit politischen Handelns nach außen hin zu dokumentieren?

Nach der Devise: Mehr Kinder in die Sprachstandserhebung gleich mehr Kinder in die Sprachförderung gleich mehr frühe Förderung und damit Bildung. Ob diese Gleichung aufgeht, wissen wir nicht. Aber es gibt Hinweise, dass es ein Trugschluss ist. Für viele Kinder verlaufen die Übergänge zur Grundschule nicht unproblematisch, weil sowohl Test als auch Sprachförderung nicht den gewünschten Erfolg hatten.

Für die Landesregierung lesen sich die Ergebnisse hingegen wie ein Medaillenspiegel, der den Erfolg des zweistufigen Verfahrens signalisieren soll: 2007 sind 174.000 Kinder durch die Sprachstandsfeststellung gelaufen, rund 80.000 mussten in die zweite Stufe des Testverfahrens. 2008 waren es 161.000 Kinder, von denen 63.000 an der zweiten Stufe teilnahmen. Ob dies den Kindern geholfen hat, dass wissen wir jedoch nicht. Sicher ist vielmehr nur: Wer als sprachförderbedürftig im Rahmen dieses Verfahrens diagnostiziert wird, für den gibt es pro Jahr 340,-? für eine Sprachförderung aus dem Landeshaushalt. Die Zahl der förderbedürftigen Kinder ist danach gestiegen.

Das Deutsche Jugendinstitut schreibt in einer Stellungnahme: "Die Erhebung des Sprachstands als Grundlage für den Einsatz von Sprachförderungsmaßnahmen erscheint nur dann sinnvoll, wenn die Verfahren zur Sprachstandsfeststellung und die Maßnahmen zur Sprachförderung aufeinander abgestimmt sind."

Diese Abstimmung erfolgt in NRW nicht. Tagesstätten, Kommunen, freie Träger, kirchliche Träger, sie alle entscheiden sich für unterschiedliche Maßnahmen und Förderkonzepte. Dass überhaupt eine Sprachförderung als Maßnahme durchgeführt wird, scheint aus Sicht der Landesregierung hinreichend zu sein, um zu dokumentieren, dass auch tatsächlich eine Förderung im Ergebnis erfolgt.

Derweil reißt die Kritik am Sprachstandsfeststellungsverfahren und der anschließenden Förderung in NRW nicht ab. Der Test selber wird ebenso kritisiert wie die Stufigkeit und die anschließenden konzeptionslosen Fördermaßnahmen. Immer wieder wird deutlich, dass die falschen Kinder identifiziert werden oder die richtigen eben nicht. Eltern wähnen sich bei Bestehen des Testes durch ihre Kinder auf der sicheren Seite, ohne die tatsächlichen Schwierigkeiten der Kinder wahrzunehmen.

Frühe Förderung würde voraussetzen, dass alle Kinder früh in die Einrichtungen kommen können. Gerade die Kinder, die es besonders nötig haben, kommen oft erst später. Dazu gehören auch viele Kinder mit einer Zuwanderungsgeschichte. Aus unserer Sicht wäre es daher sinnvoller, die Kitas als Bildungseinrichtung anzuerkennen, sie beitragsfrei zu stellen und damit eine frühe Sprachförderung für alle Kinder zu ermöglichen. Sprachförderung sollte alltags- und situationsorientiert angelegt sein. Sie entsteht in stabilen Beziehungen und braucht Empathie und natürliche Kommunikation.

Dazu müssten Einrichtungen in die Lage versetzt werden zu fragen: Was brauchen Kinder, wie lernen sie, was können wir tun, um Kinder ihren Potentialen entsprechend zu fördern und die Sprachkompetenzen aufzubauen.

Besondere Unterstützung benötigen diejenigen, die zu den "Verlieren" von IGLU und PISA zählen. Denn Sprachkompetenz hängt stark von der sozialen und regionalen Herkunft ab. Kinder, deren Eltern eine Zuwanderungsgeschichte haben und/oder in Armut leben, haben oft mangelhafte Deutschkenntnisse und fallen weit hinter ihre Altergenossen zurück. Das DJI schreibt dazu: "Sprachförderung und Bildungsarbeit müssen deshalb vor allem darauf abzielen, Bildungsbenachteiligungen auszugleichen. Sprachliche Förderung muss in allen Bildungsangeboten enthalten sein, darf also nicht isoliert angeboten werden."

Aus der Erfahrung der mehr als zweijährigen Arbeit in der Enquetekommission "Chancen für Kinder" möchte ich noch hinzufügen: Die Förderung muss frühzeitig einsetzen und die Eltern mit einbinden. Dazu gehören auch die richtigen Rahmenbedingungen (kleine Gruppen), eine gute Qualifizierung der Fachkräfte und die die stärkere Berücksichtigung der Muttersprache bei Kindern mit Migrationshintergrund.

All dies wird mit den Sprachstandsfeststellungsverfahren nicht ausreichend berücksichtigt. Dabei stehen in NRW bei den Regionalen Anlaufstellen für Ausländerfragen (RAA) profunde Erfahrungen und Programme zur Sprachförderung und Familienarbeit zur Verfügung, die in die Fläche gebracht werden könnten.

Konzepte, die bei zwei- und dreijährigen Kindern von zugewanderten Eltern nur den Erwerb der deutschen Sprache in den Vordergrund stellen, machen zudem den zweiten Schritt vor dem ersten. Erfolgreiche Immigrationsstaaten wie etwa Kanada zeigen, wie die Muttersprache als Ausgangsbasis für die neue Sprache genutzt wird und so beide Sprachen zugleich gefördert werden.

Die Enquete-Kommission "Chancen für Kinder", die ihren Bericht im Oktober 2008 dem Landtag vorgestellt hat, nennt als Handlungsempfehlung 4.3: "Ein aufeinander aufbauendes Gesamtkonzept zur Sprachförderung vom Eintritt in die Kindertageseinrichtung über die Grundschule bis zum Ende der Sekundarstufe I ist zu entwickeln. Hierbei sind die Erfahrungen aus der Arbeit mit den integrativen Sprachförderkonzepten der RAA mit einzubeziehen. (...)"

Wie nun kann oder sollte erfolgreiche Sprachförderung in den Kitas zukünftig aussehen? Was können Eltern erwarten? Was können gute Kitas wirklich erreichen, wenn Erzieherinnen sich sprachfördernd verhalten und welche pädagogischen Angebots- und Gelingensbedingungen sind Erfolg versprechend?

Auf diese und andere spannende Fragen wollen unsere beiden Referenten Prof. Schaefer aus Köln und Herr Prof. Switalla aus Bielefeld Antworten geben.